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Diskurs in der Enge

Recht haben ist nicht immer lustig. Es kommt leider, wie ich gesagt habe, die Debatte über die Begrenzungsinitiative nimmt den erwarteten unerwünschten, falschen Verlauf. Wir reden tatsächlich und allen Ernstes über ökologische Überbelastung aufgrund der Zuwanderung, das Wort «Dichtestress» ist salonfähig geworden, und dass unsere S-Bahnen überfüllt seien, wird unwidersprochen hingenommen, auch wenn die Auslastung über alles nur etwa bei 35 Prozent liegt. Und an all dem sei die Zuwanderung schuld, auch das wird kaum dementiert, es wird einzig erwähnt, sie sei halt leidergottes nötig für unsere Wirtschaft und die Altersvorsorge.

Schwach. Und falsch.

Die WoZ rettet ein bisschen die mickrige Ehre einer innerlinken, aber auch liberalen Debatte, indem sie darauf hinweist, dass die Zuwanderung und das (Bevölkerungs)Wachstum klar benennbare ökonomische Treiber hat: allen voran die Fremdinvestitionen in der Schweiz, aber generell der Kapitalzuwachs, der in den letzten Jahren rasant anstieg und den auch Corona kaum stoppen wird. Die ebenfalls massiv zunehmende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen führt dann dazu, dass am Ende der Debatte nur noch die blanke Emotion (Neid!) und der subjektive Eindruck bleibt: Alles geht den Bach runter und ich profitiere nicht einmal davon. Wasser auf die Mühlen der Fremdenfeinde.

Nur: Es ist und wird gar nicht eng. Das Boot ist nicht voll. Nicht in den Zügen, wenn man vielleicht am Arbeitsplatz und in den Schulen etwas flexibler punkto Präsenzzeiten wäre. Nicht auf dem Arbeitsmarkt, wenn man endlich die Produktivitätsgewinne der letzten Jahre und Jahrzehnte in die Reduktion von Arbeitszeit stecken und damit Arbeitsplätze schaffen würde. Nicht bei der Wohnungssuche, wenn alle, wie die in dieser Hinsicht vorbildlichen Genossenschaften, Belegungsvorschriften hätten. Nicht in der Energieversorgung, wenn wir endlich vorwärts machen und vollständig auf neue erneuerbare Energieträger umstellen würden. Nicht in den Sozialwerken, wenn man die unsägliche 2. Säule abschaffen und in die erste integrieren würde. Und so weiter.

Stattdessen: Keine Rede ist von der unsäglichen Verlogenheit der SVP, welche die Zersiedelungsinitiative der Jungen Grünen abgelehnt hat, obschon diese die Verbauung der Landschaft gestoppt hätte. Die sich nun plötzlich als Hüterin von Löhnen und Arbeitsplätzen aufspielt. Die Ströme von Krokodilstränen über verschwundene grüne Landschaften und grassierenden Beton vergiesst (Kulturlandverlust!). Oder über die vielen Personenwagen auf unseren Strassen. Es ist zum Kotzen, aber wir haben uns ja offenbar daran gewöhnt, Protest wird eigentlich kaum mehr laut. Dumm und blöd auch das Argument eines Ökonomie-Professors, dessen Name ich hier nicht nennen will: Die CO2-Reduktionsziele seien «recht problemlos» zu erreichen, wenn’s keine Zuwanderung geben würde. Sackstark! Wenn’s keine Professoren geben würde, wär das fürs Klima übrigens ebenfalls nützlich.

Kein Wort schliesslich über die immer noch und überall grassierende Verschwendung. Von Lebensmitteln (ein Drittel!), von Energie (mehr als ein AKW produziert!), von Geld (Kampfflugzeuge!). Kein Wort über den bemerkenswerten Ansatz der Initiative, für fast alle Probleme, die wir teilweise in der Tat haben, eine einzige Ursache zu finden. Nur ist diese nicht nur falsch, sondern die Simplifizierung vernebelt auch den Blick auf die wahren Gründe. Eng ist eigentlich nur die real existierende Debatte.

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Wandern. Eine Polemik

Eins ist klar: Bill Gates hat Corona nur erfunden, damit ich gezwungen war, vier Wochen zu wandern. Nicht grad am Stück, aber fast. Falls Ihnen diese Logik etwas zu sprunghaft erscheint, entwickle ich das gerne ganz ausführlich, zum Mitleiden.

Die Schweiz ist schön. Aber das ist kein Lob, das ist ein Fluch. Von Schönheit hat man ja noch nicht gegessen, daher muss man sie verkaufen. Dazu wurde das Tourismusmarketing erfunden. Und da die aktuelle Viruslage es nicht als ratsam erscheinen liess, vom Ausland zu uns in die Ferien zu kommen, musste sich das Marketing auf die Eingeborenen fokussieren. Das kam gar nicht gut: Die St. Galler warben im Waadtland (Alpstein!), die Walliser im Neuenburgischen (Olmenhorn!), die Welschen im Züribiet, und in den Aargau wollte wie immer niemand. Am schlimmsten trieben es die Stadtzürcher: In Lausanne hingen Plakate mit leicht bekleideten jungen Frauen auf Motorböötchen, die Rosé sürpfeln. Byline: «La vie en rosé.» Ich wollte mir schon Sorgen wegen der Zielgruppengerechtigkeit machen, als mir einfiel, dass das in einem Kanton, in dem die Einheimischen schon um 11 Uhr vor dem ersten «ballon» sitzen, während wir daneben noch Kaffee schlürfen, wohl doch nicht so daneben ist. Aber ich schweife ab.

Gut beworben ist immer noch langweilig. Berge dienen ja nicht zum Angucken, da muss man rauf. Und landschaftliche Schönheit ist zwar schnell behauptet, das grosse Gähnen aber ist vorprogrammiert und die schöne Kulisse schnell durchschaut. Solange man sie nicht mit Zweitwohnungen zukleistern darf, ist sie nichtsnutzig. Das Volk ist nicht blöd, und es will Action. Die Ferien sind zum Handeln da (Slogan dazu: «Wir brauchen bebadbare Flüsse»), und die Füsse zum Wandern. Das ist Volkssport Nummer 1. Das haben wir im Griff, und das lässt sich nicht zuletzt mit jeder erdenklichen Fussbekleidung ausführen.

Wandern ist komplett sinnlos. Und was sich nun anhört wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft – heisst es nicht «jeder Zwecklos ist Widerstand»? –, ist es nicht. Wer wandert, muss ekelhafte Funktionskleidung tragen, das steht wohl so im Epidemiengesetz, sonst würd’s ja niemand freiwillig tun, und wer noch einen Beweis braucht: Sogar NacktwanderInnen tragen rote Socken, und zwar nicht als Feigenblattersatz, sonst ging’s ja noch. Vor allem: Wandern diszipliniert. Wer wandert, muss früh aufstehen und am Abend ziitig auf dem letzten Postauto sein, wer wandert, muss auf den Weg achten, sonst erleidet sie subito einen doppelten Fussbruch. Und darum macht, wer wandert, keine Revolution, und darum hat Ueli Maurer vor den Ferien das Wandern in der Schweiz propagiert. Wandern ist das Opium des Volkes, und bei Gott, das packt jede Menge davon ein: Wanderschoggi, Wanderguetsli, Wanderzältli, und es hat uns überhaupt nicht gewundert, als wir sogar einen Wanderwein im Angebot entdeckten. Um doch noch etwas Nettes zu sagen: Wandern ist immerhin virussicher, da es an der frischen Alpenluft stattfindet. Wer von einer wild gewordenen Mutterkuh davonrennt, denkt nicht ans Husten.

So. Und nun müsste ich ja langsam wieder die Kurve zu Bill finden. Ich fasse zusammen: Irgendwie hat das Ganze damit zu tun, dass die Schweiz schön ist. Und langweilig. Weshalb das Tourismusmarketing ganz konform die langweiligste Lebensform überhaupt, das Wandern, als Volkssport Nummer 1 promotet. Und das alles entdeckt man nur, weil man nicht ins Ausland darf. Und daran ist Bill schuld. Oder so ähnlich. Ich brauch Ferien.

Markus Kunz

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Liebe L.

Alle Unfalltode sind sinnlos, aber dein Tod ist es ganz besonders. Du bist letzthin an einer Kreuzung in Altstetten mit dem Velo unter einen LKW geraten und noch auf der Unfallstelle verstorben. Weiss der Geier, was der Riesenlaster dort auf der stillen Quartierstrasse zu suchen hatte, und ich nehme mal an, dass der berüchtigte tote Winkel Schuld war, aber das macht dich auch nicht mehr lebendig. Die Dienstabteilung Verkehr teilte mir mit lakonischer Expertise mit, dass sie an diesem Knoten «kein Infrastrukturproblem» hätten. Und auch die Velofachleute, die ich fragte, finden, es sei eigentlich eine harmlose Kreuzung.

 

Tja. Ist sie nicht. Fährt man die Badenerstrasse hinunter auf die Kreuzung zu, hat es dort sage und schreibe eine Linksabbiegerspur, obschon man gar nicht links abbiegen kann, ausser zu einer Firmeneinfahrt, und die rechte Spur ist dann für Rechtsabbieger und Geradeausfahrende zugleich. Daneben, klein und züri-like schmal, der Velostreifen. Ich nenne das eine Todesfalle, denn es ist ja klar, dass es hier zum Konflikt zwischen rechts abbiegenden LKW und geradeaus fahrenden Velofahrerinnen kommt.

 

Letzthin wurde eine Mahnwache für dich organisiert. Zuerst waren wir wenige. Tränen, Blumen, Kerzen, Fassungslosigkeit. Schweigend standen wir da. Und dann kamen immer mehr Menschen. Aus der Nachbarschaft, von weiter her, zu Fuss, mit dem Velo. Plötzlich waren ganz viele Kinder da, welche die Strasse mit Hunderten von Kreideherzen verzierten. Nach dreissig Minuten geschah Eindrückliches: Zu Dutzenden fuhren VelofahrerInnen schweigend die Badenerstrasse hinunter, hielten an, legten ihre Velos auf die Strasse und liessen sich immer noch schweigend auf der Kreuzung nieder. Ok, auch auf den Tramschienen. Wir waren halt wirklich viele.

 

Die AutofahrerInnen wichen aus, manche Sonnenscheinchen hupten, und andere, für die mir jetzt grad die Schimpfwörter ausgegangen sind, fluchten aus dem Fenster heraus. Und dann ging es wieder nur fünf Minuten, und die Schmier war da. Drei Jungs stiegen aus, schwer bewaffnet – ich begreife bis heute nicht, warum PolizistInnen im friedlichen Ordnungsdienst bewaffnet sein müssen –, und forderten die Leute auf abzuziehen. Man erklärte ihnen freundlich, dass man hier an einer Trauerwache sei, aber das nützte nichts. Ja, man hätte sich mühelos vorstellen können, dass sie ihren Wagen quer auf die Strasse gestellt und die Autos eine halbe Stunde um uns herum dirigiert hätten, quasi solidarisch im Dienst des Moments und nicht im Dienst des rollenden MIVs – aber so sind sie halt. Der Auftrag. Das Gesetz. Unsere (!) Sicherheit. Weisst du, in dieser Stadt gilt die freie Fahrt viel. Zumindest für Autos.

 

Natürlich gaben wir nach. Es war eine Trauerveranstaltung für dich, keine Demo. Es ging um Würde und ums Nachdenken über die Notwendigkeit, Tote in Kauf zu nehmen, Opfer zu bringen. Denn genau das tun wir ja, ganz so, wie wenn wir noch in alttestamentarischen Zeiten leben würden. Ich erinnere mich an früher, als bei Todesfällen im Strassenverkehr noch grosse schwarze Tafeln aufgestellt wurden, auf denen stand: «Hier starb ein Mensch als Opfer des Verkehrs.» Das fand ich schon als Kind komisch. Und weisst du, was das wirklich Obszöne daran ist? Es ist ein derart rhythmisch und lüpfig formulierter Satz, quasi Gute-Laune-Prosa, man könnte ihn glatt tausendmal vor sich hin summen! Mit ein paar Tanzschrittchen dazu. Nur: Im Auto kannst du nicht tanzen. Und ausserhalb ist es zu gefährlich.

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Pandemisch

«Eifach nüt über Corona», meint S., als ich sie frage, worüber ich denn ums Himmelswillen schreiben solle. Leichter gesagt als getan.

«Obwohl dieser plötzliche Rückgang der Krankheit unverhofft kam, überliessen sich unsere Mitbürger keiner übereilten Freude. Die vergangenen Monate hatten zwar ihre Sehnsucht nach Freiheit gesteigert, sie aber gleichzeitig die Vorsicht gelehrt und sie daran gewöhnt, immer weniger mit einem baldigen Ende der Seuche zu rechnen. Indessen war dies neue Ereignis in aller Mund, und im innersten Herzen regte sich eine grosse, uneingestandene Hoffnung. Alles übrige wurde nebensächlich. Die neuen Opfer der Pest wogen recht leicht, verglichen mit dieser unerhörten Tatsache: die Statistik war gefallen. Dass unsere Mitbürger von nun an, wenn auch mit scheinbarer Gleichgültigkeit, davon sprachen, wie das Leben nach der Pest wieder ins Gleis kommen werde, war eines der Anzeichen dafür, dass sie insgeheim die Zeit der Gesundheit erwarteten, ohne sie frei zu erhoffen.»

 

Lauter Schlüsselsätze. Sie könnten von Daniel Koch stammen, sind aber von Albert Camus, «Die Pest». Muss man nun aber wirklich nicht lesen. Das Buch ist nicht hilfreich, wenn auch glasklar und eiskalt prophetisch. Vermutlich ein Trick: Jede Pest verläuft ähnlich und wirkt auch ähnlich auf uns Menschen. Sogar wenn gar keine Krankheit gemeint ist, denn ein Buch, das 1946 fertiggestellt wurde, dürfte wohl eher symbolisch zu lesen sein. Dennoch enthält der Text geradezu hellsichtige Sätze. Auch am Ende, wenn die Pest besiegt ist, tönt es ganz wie bei uns: «In Wirklichkeit war es schwer zu behaupten, dass es sich um einen Sieg handelte. Es war nur festzustellen, dass die Krankheit zu gehen schien, wie sie gekommen war. Die Art der Kriegführung gegen sie hatte sich nicht geändert. Gestern noch unwirksam, war sie heute offenbar erfolgreich. Nur hatte man den Eindruck, dass die Krankheit sich von selbst erschöpft habe, oder vielleicht, dass sie sich zurückzog, nachdem sie alle ihre Ziele erreicht hatte. Ihre Rolle war irgendwie zu Ende.»

 

Klar, es ist doof, einer Krankheit eine Personalität, eine Absicht, gar Ziele zuschreiben zu wollen. Das dürfen nur Nobelpreisträger. Aber als Lesehilfe dessen, was da in den letzten Monaten passiert ist, ist es gleichwohl nützlich.

Denn so kann man es auch sehen: Corona hat seine Rolle gespielt, mit tödlicher Dramatik und just so unscharf, dass alle etwas ins Stück hineininterpretieren können. Egal, ob man in der Krise den ultimativen Beweis für einen starken Service public sieht oder für das Gegenteil. Egal, ob man nun das Hohelied auf die Isolierstation Auto singt oder ob man nun erst recht dem Velo doppelt so viel Platz einräumen will. Egal ob man für eine kräftige Relokalisierung eintritt oder mit der bewährten Phantasielosigkeit für die gute alte Ausbeutung der Arbeitskräfte in Übersee plädiert. Corona holt bei vielen Kommentaren nicht etwa neue Impulse, sondern die alten Schemata verstärkt hervor.

 

Es gilt, was Camus schreibt, was aber auch in anderer Weltkriegsliteratur geschrieben steht, fast schon eine Banalität: Dass niemand entkommt, auch nicht die Unversehrten. «Aber diese Schweinerei von einer Krankheit! Sogar die, die sie nicht haben, tragen sie im Herzen.»

Der Bundesrat nennt diesen Zustand «neue Normalität» und hat insofern recht damit, als sie anders ist und es wohl noch eine Weile bleiben wird. Eifach nüt über Corona geht nicht mehr.

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Rückkehr

Im Spamfilter landen keine Angebote für Penisverlängerungen mehr, sondern für Masken. Zum Schnäppchenpreis, versteht sich. Das beweist, dass sich die Leute trotz Corona nicht ändern: Billig ist immer noch die Hauptsache. Auch unsere Armee funktioniert so. Zwar kauft sie einerseits für über zwei Milliarden Masken und Schlüttli ein, immerhin ein Drittel der Summe, die wir für Kampfjets zugute hätten! Aber sie ist dann eben auch nur eine normale Schweizer Institution und kauft dort, wo’s billig ist, also beim Chinesen. Was sie wiederum beim Kampfjet ja nie tun würde.

 

Das mit der Systemrelevanz ist also noch nicht überall in den Köpfen drin. Wir dürfen gespannt sein, was sich nach der Krise, wann immer das ist, auch wirklich verändert. Alle reden von ‹Systemrelevanz›, aber wenn dann beim ersten Kauf schon wieder der alte Geiz-ist-geil-Reflex spielt, dann nützt das ganze Gerede nichts. Zwar stützt auch unsere Armee mit ihren Grosseinkäufen ein Produktionssystem, nur halt eines in China.

Nur schon an diesem kleinen Beispiel wird sichtbar, wie hart die Rückkehr aus der Krise sein wird. Ich bin etwas pessimistisch, ob und wie es gelingen wird, überholte Konventionen abzulegen, quasi synchron mit dem Aufbau von Resistenz. Ich würde zum Beispiel jede Wette abschliessen, dass die Auslastung unserer Flughäfen maximal zwei Monate, nachdem Flugreisen wieder erlaubt sind, wieder wie im Jahr 1 v.Co. (vor Corona) sein wird. Es wird viele geben, die nicht nur ihr Verhalten nicht ändern, sondern sogar überkompensieren werden.

 

Zum Beispiel die Modebranche. Ich zum Beispiel habe nicht gewusst, dass ich ein Fashion Victim bin, wenn auch eines der Slow Fashion. Auch das hab ich nicht gekannt. Slow Food schon, aber Mode? Nun, es funktioniert genauso wie beim Food. Und «fast» ist die Fashion nun wirklich! Vier Kollektionen pro Jahr ist eigentlich schon an der unteren Grenze in vielen Modehäusern. Es soll welche geben, die alle zwei Wochen eine Kollektion auf den Markt schmeissen. Da muss sich die Konsumentin, der Konsument natürlich sputen. Also kaufte man sich pro Woche ein neues Outfit, mindestens. Bis Corona kam.

Mal abgesehen vom enormen Ressourcenverschleiss und der Umweltzerstörung: Ökonomisch funktioniert das nur mittels konsequenter Ausbeutung von Arbeitskräften, vom Baumwollpflücker über die Näherin im Sweat Shop bis zur Verkäuferin im Laden. Alle unterbezahlt und überbeansprucht. Sonst könnten wir uns das gar nicht leisten. Die Ausbeutung von Mensch und Natur ist Teil des Systems, und wir reklamieren im Gegenzug ein Recht auf günstige Ware. Die dann auch entsprechend nichts wert ist. Die wir daher wegschmeissen können. Die Hälfte der gekauften Kleider landet innerhalb eines Jahres im Abfall oder in der Altkleidersammlung, lese ich in der NZZ.

 

Slow Fashion will das alles nicht. Es ist eine Bewegung, die der Kaufsucht entgegenwirken will. Corona hat das schneller und gründlicher geschafft. Aber das Perverse ist, dass es deswegen ja dem Baumwollpflücker und der Näherin im Sweatshop keinen Dreck besser geht, im Gegenteil. Das System weiss schon, wie es alle seine Kinder ernährt, wenn auch die einen nur lausig. Und so sitzen wir in der Zwickmühle: Einfach zum Konsumverhalten v.Co. zurückzukehren, ist keine Lösung. Aber einfach keine Kleider mehr zu kaufen, treibt die Näherinnen in Asien in den Ruin.

Solche Mechanismen gibt es zuhauf. Sie verhindern, dass wir wirklich viel lernen werden aus der Krise. Aber ich hoffe immer noch, ich werde Lügen gestraft.

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Schreibende Männer

Tag 35. Der alte weisse Mann sitzt in Herrliberg, und die Decke fällt ihm auf den Kopf. Er nimmt seine Feder und schreibt einen Leserbrief: «Rettet die Umwelt. …Wir haben vergessen, wie wichtig die Umwelt ist. …Doch nun merkt man: Die Umwelt bringt Arbeit, Lohn, Einkommen. …Doch man vergisst: Wer die Umwelt kaputtmacht, zerstört die Lebensgrundlage. Die Umwelt in einem Tag zu zerstören, ist leicht. Sie wiederaufzubauen, dauert Monate und Jahre. …Wer nur die Gesundheit schützt und die Umwelt zerstört, zerstört die Lebensgrundlage.»Zufrieden legt er die Feder weg. Gut gebrüllt, Löwe! Silvia kommt und guckt ihm über die Schulter: «Ey Alter, was schreibst du für ein Scheiss, echt jetzt, Mann?»Die Frau spricht komisch, denkt er. Vielleicht in Zungen. Aber wo sie recht hat, hat sie recht. Er nimmt das Federmesser, kratzt das Wort «Umwelt»aus und setzt «Wirtschaft»ein. Dann pfeift er dem Butler: Ab zur NZZ!

 

Tag 36. Boris holt tief Luft und nimmt dann seinen Chugi zur Hand. Ein Beschluss muss her, aber asap! Diese Gesundheitsfanatiker muss man stoppen, die übertreiben masslos. Die Pandemie ist nur ein Vorwand, er, Boris, durchschaut das sofort. Niemand stirbt einfach nur durch ein Virus, schon gar ein Brite! Die NHS will einfach mehr Geld raffen, das ist es. Es wäre cool, diesen Beschluss mit einem ironischen Titel versehen zu können, der ihnen schon mal den Tarif durchgibt. Boris denkt nach. Plötzlich leuchten seine Augen. Er hustet kurz und schreibt dann: «Operation Letzter Atemzug». Boris lacht in sich hinein. Genau! So muss man denen kommen. Dann hustet er nochmals.

 

Tag 37. Ernst zieht seinen Mantel an und geht nach draussen. Er will aufs Tram. An der Haltstelle trifft er diesen Banker, wie hiess er doch gleich? Egal. Der Banker quatscht ihn an. Ob er nicht etwas für die notleidenden Banken tun könne. Es sei schlimm, niemand wolle mehr einen Kredit. Und diejenigen, die einen wollten, seien arme Schlucker, die ihn eh nicht zurückzahlen könnten. Ernst denkt nach. Der Banker ist ihm gefährlich nahe, bestimmt weniger als 2 Meter. Er denkt schneller. Und dann leuchten seine Augen. Never change a running system! Sagen die Linken nicht immer: «Gewinne privat, die Kosten dem Staat»? Er sagt zum Banker: Komm, wir machen ein Rettungspaket. Ihr gewährt Kredite, ich übernehme das Risiko. Der Banker strahlt. Ernst strahlt. Richtig verstanden, ist dieses Social Distancing eben doch eine tolleSache!

 

Tag 38. Der alte weisse Mann von der Falkenstrasse seufzt. Der Leitartikel drängt, die Aktionäre tun es nicht minder. Er setzt sich hin. Er denkt: Das Einfachere zuerst. Er klappt den Laptop auf und richtet den Blick zur Decke. Der Inhalt ist ja klar: Irgendwas gegen den überbordenden Staat. Kaum haben wir etwas Krise, muss die Linke das wieder schamlos ausnutzen und nach Staatsintervention schreien. Das muss gebrandmarkt werden. Ein erneuter Seufzer–und dann ist sie da, die Schlagzeile: «Seuchen-Sozialismus»! Einen winzigen Augenblick lang gönnt er sich eine tiefe Zufriedenheit. Er denkt, moll doch, irgendwie kann ich es noch. Da klopft es an die Tür. Die Sekretärin streckt den Kopf herein. «Gell, Chef, Sie vergessen nicht, das Formular für die Kurzarbeit auszufüllen, das sollte heute noch weg!»Er seufzt. Ach ja, das hätte er jetzt beinahe vergessen.

 

Tag 39. Die Affen im Zoo langweilen sich. Keine Sau vor dem Gitter. Man weiss nicht, warum. Von einem Tag auf den anderen kommen keine Gaffer mehr. Die Affen sind ratlos. Wie will denn der Zoo überleben ohne seine Attraktion, diese komischen Typen, die sich zum Affen machen, eigenartige Dinge am Leib tragen, nur ein kleines Fell auf dem Kopf haben und andauernd Bananen fressen? Die Affen zucken mit den Schultern und fangen dann ein neues Spiel an: WC-Rollen umherschmeissen. Draussen, in der leeren Savanne, furzt einsam eine Giraffe.

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Auf Balkonien

Tag 1. Die Wahrheit ist immer das erste Opfer im Krieg. Es stimmt nicht, dass die NZZ die Druckerschwärze reduziert hat, damit man ihre Druckerzeugnisse, toilettengerecht zugeschnitten, sekundärverwerten könne. Es wird viel gelogen in diesen Tagen. Trotz beruhigender seitengrosser Inserate der Detaillisten, man müsse nicht hamstern, es habe von allem genug, sehe ich immer, wenn ich vom Home-Office heimkomme, rudelweise Hamster mit Dinkelvollkornhörnlipaketen in den Backentaschen. Gleichzeitig leeren sich die Gestelle mit den Haushaltrollen reziprok zum Anstieg der Anzahl WC-Rollen-Witze. Das ist so beunruhigend wie die Stimme vom BAG-Koch, wenn er wieder die neuesten Fax-Zahlen bekannt gibt. Absurde Zeiten.

 

Tag 2. Ganz vorne beim Wettbewerb um das Wort des Jahres: «Systemrelevanz» (knapp vor «Lagerkoller»). Damit verbunden: Die Umwertung aller Werte. Denn als systemrelevant erweisen sich nun plötzlich all die Tätigkeiten, die es nie waren, etwa die Kinderbetreuung. Wer’s noch nicht gemerkt hat: Grossmütter sind ihr Geld wert. Das wussten wir zwar schon vorher, aber wissen ist nichts, erfahren ist alles. Das weiss sogar ein Virus, das scheints ohne Gehirn auskommt und trotzdem die Welt regiert. (Schämen Sie sich – ich merke doch, was Sie jetzt gedacht haben!) Grossmütter gehören zu den Bevölkerungsgruppen, die, wie etwa das Pflegepersonal, nicht streiken können, da sie sonst den Kindern schaden würden, nicht den Mächtigen. Daher legt das Virus sie lahm, die Grossmütter, und damit auch die Mächtigen.

 

Tag 3. Ehre dem Balkon! Und sorry an alle, die keinen haben. Der Balkon erweist sich in diesen Tagen als unverzichtbar, lebensrettend, psychohygienisch, politisch. Egal, ob man, wie in Italien, darauf singen muss, egal, ob man, wie bei uns, darauf Beifall klatschen muss, oder auch, ob man, wie im Kosovo, sogar lautstark dagegen protestieren muss, dass die Amis die Regierung absetzen – der Balkon ist überall die Bühne, das Fenster zur Welt. Und wenn das so weitergeht, wer weiss, werden wir alle darauf Ferien machen.

 

Tag 4. Apropos Ironie: Die Eltern sollen, wenn sie zuhause mit ihren Kindern Schule machen, mit ihnen Hochdeutsch sprechen, damit ihre Rolle klar wird. Nicht Papi, sondern Oberlehrer. Wird offenbar öfters verwechselt. Ernsthafter ist dagegen schon die Beobachtung, dass es nicht weit her ist mit der Resilienz unserer Systeme. Es bricht alles mit beunruhigender Geschwindigkeit zusammen: Gesundheit, Arbeit, Sport, Kultur, Verkehr. Wer das noch nötig hat, merkt erst jetzt, wie wichtig der Staat ist. Und sei es nur, um schnell einen zinslosen Kredit beantragen zu können, was dem Helikoptergeld sehr nahekommt, weil es bei Zahlungsunfähigkeit nicht zurückbezahlt werden muss.

 

Tag 5. Man mag das ja allen gönnen in diesen Tagen, und man ist beeindruckt von der Rasanz solcher Entscheidungen. Nur wünscht man sich, dass auch die Bedürftigsten in der Gesellschaft ebenso unbürokratisch Hilfe bekommen, auch und gerade, wenn sie kein KMU sind oder noch nicht mal Papiere besitzen. Oder vom derart begünstigten Arbeitgeber entlassen worden sind, was man nicht anders nennen kann als eine Sauerei. Ein Grundeinkommen für alle Einkommenslosen, und sei es nur vorübergehend, würde so manches entschärfen. Aber der Bund will noch nicht mal über Arbeitsplatzsicherung reden. Die Krise, sie legt vieles offen, auch manch wahre Gestalt.

 

Tag 6. Das Obligatorische ist heuer freiwillig. Soweit sind wir also gekommen.

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Zu blöd zum Leben

Doch doch, das geht: Man kann mich schon noch schockieren. Hat grad letzthin der Dok-Film über Food Waste geschafft. Obschon ich wusste, wie die Zahlen in der Schweiz aussehen, war ich baff. Nur ein Beispiel: Es heisst immer, die Schweizer Landwirtschaft könne uns nur zu 50 Prozent selbst versorgen. Erstunken und erlogen: Würde nicht so viel auf den Feldern und in der Verwertungskette weggeworfen, könnten wir uns zu wohl rund 80-90 Prozent selbst versorgen. Mit etwas mehr zusätzlichem Vegetarismus leicht auf 100 Prozent zu bringen, weil Tiere viel Platz brauchen. Autarkie also.

 

Langsam hab ich’s gründlich satt. Wo man hinsieht, sieht man Verschwendung, also Verbrauch ohne Nutzen. Und das ist nicht nur ein ökonomisches oder ethisches Thema, sondern Verschwendung verstellt den Blick auf die effektiven Probleme. Wir fechten gegen Spiegel statt für die richtigen Fragen. Wir kämpfen gegen die blanke Dummheit, statt für eine bessere Zukunft.

Ernährung: Kein Problem, auch nicht für neun Milliarden Menschen, wenn wir den Food Waste zurückfahren würden. Stromversorgung: Wir könnten zwei AKW morgen schon abbauen, wenn wir die Verschwendung abstellen würden. Ganz zu schweigen davon, wenn wir effizienter wären, also zum Beispiel abfahren mit all den stromfressenden Geräten, was niemandem weh täte, aber über 20 Prozent des Verbrauchs reduzieren würde. Verkehr: Wenn all die tollen Menschen, die alleine in ihren fetten SUV nasebohrend im Stau sitzen, sich zu zweit oder gar zu dritt in ihre Karre setzen würden, würden wir weder über Lärm, noch über Luft noch über Platz noch über verschwendete Gelder im Strassenbau reden. So einfach wäre das. Es bräuchte nur etwas mehr Vernunft und weniger Konjunktiv. Nicht mehr Regeln, auch nicht mehr Geld. Nur Vernunft. Quasi menschliche Kernkompetenz. Und genau darum hab ich’s so was von satt: Dominieren tut lauter Schwachsinn, der sich hinter Wörtern wie Fortschritt und Komfort oder gar Bedürfnis versteckt, und wehe, man versucht zaghaft auf so etwas wie Selbstverantwortung zu verweisen!

 

Etwa Rosengarten. Da bezieht die zuständige Regierungsrätin die Ohrfeige ihres Lebens, und was tut sie? Trötzeln, statt klipp und klar für das Naheliegende zu sorgen, nämlich dass halt einfach etwas weniger Autos auf dieser Strasse fahren. Wie wenn die Menge gottgegeben oder eine physikalische Grundkonstante oder sonst was wäre. Ist sie nicht. Über 90 Prozent sind Quell-/Zielverkehr, also hausgemacht. Also abstellbar. Eigenverantwortlich oder reguliert, letztlich egal. Die Verweigerung des Ausgangs aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, wie Kant das freundlich formulierte, vulgo Blödheit, ist das Problem, nicht die Verkehrspolitik.

 

Glaubs wohl, dreht die Klimajugend langsam durch. Tun wir Alten ja auch. Das mit dem ökonomischen Stromsparpotenzial von 30 Prozent begleitet mich schon mein gesamtes (!) Berufsleben lang. Das mit der Stromverschwendung heisst nichts anderes, als dass wir diverse AKW zu viel gebaut haben, bloss weil wir zu blöd sind, um Anwendungen zu vermeiden, von denen gar niemand etwas hat. Wie etwa ein Zimmer beleuchten, in dem niemand drin ist. Oder ein Elektroauto von 2,5 Tonnen Gewicht herumzufahren, mit einem Leichtgewichtsdeppen am Steuer. Und das mit dem Food Waste ist an Groteskheit derart unüberbietbar, dass mir die Worte fehlen. Und das passiert eigentlich nie.

Auch wenn die Dinos nur ein etwa faustgrosses Hirni hatten, dürften sie nicht aus Doofheit ausgestorben sein. Wir dagegen haben alle Chancen dazu.

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Zu viele?

Vermischt sich die xenophobe Politik der SVP mit ihrer plötzlich entdeckten Ahnung, dass sich keine Partei um das Thema Klima herumdrücken kann, dann entsteht ein Zombie, nämlich die Neuauflage einer bräunlich gefärbten Pseudo-Ökologie. Ein Gespenst geht durch die politische Debatte: die Meinung, dass all die ökologischen Fragen, die uns täglich beschäftigen, überlagert seien durch den banalen Umstand, dass wir scheints zu viele Menschen auf der Welt sind. Oder in der S-Bahn. Oder im Stau. Und daher müsse man nur die Zuwanderung begrenzen, um das Klima zu retten. Sie werden das in den nächsten Monaten noch sehr oft hören, leider auch von links.

 

Das Gemeine daran ist, dass es einen ebenso winzigen wie banalen Wahrheitskern gibt, denn natürlich hat die Anzahl Menschen mit ihrer Umweltbelastung irgendwie zu tun. Ohne Menschen keine Umweltzerstörung, schon klar. Nur ist die Sache wesentlich komplexer, und schon alleine, dass wir allen Ernstes eine Debatte führen, ob es noch ökologisch verantwortbar sei, Kinder auf die Welt zu stellen, weist darauf hin, dass viel schiefläuft. Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist eine dumme Strategie.

 

Wissenschaftlich ist die Frage schon lange beantwortet. Reduziert man die Formel für den Klimawandel auf die wesentlichen Faktoren, so ergibt sich: Anzahl Köpfe x Konsum (Fr/Kopf) x Effizienz (kWh/Fr) x CO2-Intensität (CO2/kWh) = Gesamtbelastung. Und aus unserer Schulzeit wissen wir: Willst du die Summe reduzieren, kannst du irgendeinen Faktor verkleinern, egal welchen. Einfache Mathematik, aber hier etwas unterkomplex. Denn es ist so, dass die einzelnen Faktoren nicht unabhängig voneinander stehen. So etwa sind «Konsum» und der ökologische Fussabdruck (als Masszahl für die Umweltbelastung) miteinander verbunden. In leichter Sprache: je reicher, desto umweltbelastender. Oder umgekehrt: je umweltfreundlicher, desto ärmer. Eine zweite Korrelation wird das demografische Paradox genannt. Es heisst vereinfacht: je reicher, desto tiefere Geburtenrate. Vergleicht man eine Weltkarte der Geburtenraten und eine des Fussabdrucks, so sehen sie beinahe gleich aus.

 

Diese Zusammenhänge sind seit Jahrzehnten als das Problem der nachhaltigen Entwicklung bekannt. Es geht darum, ärmeren Ländern die Möglichkeit für eine Entwicklung mit mehr «Konsum» und damit beiläufig auch für eine Senkung ihrer Geburtenrate zu ermöglichen, ohne dass sie in die Falle der Umweltzerstörung hineinlaufen. Genau das versucht die UNO seit langem, bisher allerdings ohne grosse Erfolge. Es ist in diesem Sinne verlogen, einfach auf die Anzahl der Menschen zu zielen, denn Mensch ist nicht gleich Mensch. Wir in den reichen Ländern zerstören unendlich mehr Welt als x-fach so viele Menschen in armen Ländern. So einfach ist das.

 

Eine Geschichte von Marcel Hänggi drückt das besser aus als alle Grafiken: Ein verwöhnter unsympathischer Junge lädt ein paar Gspänli zum Kindergeburtstag ein. Als die riesige Torte serviert wird, schnappt er sich den grössten Teil und verzieht sich in eine Ecke, wo er vor sich hin mampft und alle anschnauzt, die ebenfalls etwas möchten. Andere bedienen sich ebenso schnell am Kuchen, und mehrere Kinder bekommen nichts. Das Fest ist dann schnell zu Ende. Ein leer ausgegangenes Kind geht nach Hause und erzählt seiner Mutter alles. Der Vater kommt hinzu und meint lakonisch: Klarer Fall, der gute Junge hat viel zu viele Gspänli eingeladen… Gandhi sagte dazu: Die Welt ist gross genug für jedermanns Bedürfnisse. Aber nicht für jedermanns Gier.

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Das System schlägt zurück

70 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer befürworten eine Flugticketabgabe. Aber nur fünf Prozent CO2-kompensieren ihren Flug. Das tönt auf den ersten Blick nach Verlogenheit. Ist es aber nicht. Es ist vielmehr ein klarer Ruf nach einem System Change. Und eine Absage an die faule Ausrede namens Eigenverantwortung. Es ist eben nicht so, dass die eigenverantwortliche CO2-Kompensation eine moralische Angelegenheit wäre, quasi BürgerInnenpflicht. Und schon gar nicht wird das in der Bevölkerung derart ideologisch aufgeladen, wie das der Liberalismus tut.

 

Sondern es ist einerseits viel bequemer, wenn man nicht noch irgendwo auf dem Formular ein Kästchen für die Kompensation ankreuzen muss, sondern wenn die Flugticketpreise die Kompensation bereits enthalten. Zweitens ist das viel gerechter, weil dann alle mehr bezahlen müssen und nicht nur ich. Drittens ist es effektiver, weil der Anreiz anders gesetzt wird. Und viertens merken die meisten Menschen sehr wohl, dass die systemische Änderung mehr bringt als eine individuelle. Genau wie klug gesetzte Verbote übrigens, wäre dem anzufügen. Zudem ist das regulierte Leben eine alltägliche Realität. Es fragt sich ja nicht, in welchem Ausmass, es fragt sich nur: Durch wen? Gerade wieder haben wir am WEF vorgeführt bekommen, wer uns tagtäglich reguliert. Nicht zu knapp und komplett undemokratisch. Hofberichterstattungsmässig begleitet durch die Embedded Press. Und gehöbelet durch den Bundesrat.

 

Letzthin lief auf SRF dazu der ultimative Dokumentarfilm zum 50-jährigen WEF, leider mal wieder abends spät. Die Schlüsselszene: Man sieht einen Sitzungsraum mit grossem Tisch, und in der Mitte thronte Trump. Rund um ihn herum die absolute Spitzencrew der globalen Grossfirmen-CEOs. Alle waren sie da, die mächtigen Männer der höchstdotierten Firmen, von Nestlé bis Apple. Und dann gings los. Reihum durfte jeder, wie die Schulerbuben vor dem Samichlaus, sein Sprüchli aufsagen, und das ging stereotyp so: Ich bin der und der und habe in letzter Zeit so und so viele Milliarden in den USA investiert… und dann unterbrach ihn der Trump auch schon, weil mehr interessierte ihn ja gar nicht, und er lobte den braven Knaben und straffte dann den Bauch, damit ihn der nächste pinseln konnte. Reihum, wie gesagt. Und man sass vor der Glotze und tat ebenso. Mit offenem Mund. Ja klar, naiv, ich weiss, aber müssen denn die Mächtigen, bloss weil sie vergessen haben, dass eine Kamera im Raum anwesend ist, gleich alle Scham verlieren?

 

Aber nun gut, es war lehrreich. Das System funktioniert, zumindest auf der einen Seite. Und ein kleines bisschen Hoffnung ist ja auch in dieser Nachricht: Wenn Blackrock und andere Grossinvestoren aus Gründen, die uns allen ein Rätsel sein werden, mal beschliessen sollten, all diese Firmen nicht mehr zu unterstützen, nicht mehr in fossile Energien und braune Ärsche zu investieren, sondern in risikoärmere Technik, fortschrittlichere Regierungen und erneuerbare Ressourcen, aus dem einfachen Grund, weil hier mehr zu verdienen ist, dann könnte sich das Klimablatt durchaus schnell wenden. Oder sagen wir mal: schneller. Vielleicht sogar innert nützlicher Frist. Vermutlich hätten wir dann zwar einen System Change ohne Change. Und nicht mal daran mag ich glauben, aber ich sag mal: Reden wir drüber, wenn’s soweit ist. Vermutlich finden die Mächtigen der Welt ja eh nie einen Ausweg aus den Enddärmen der Trumps dieser Welt. Aber dort, pardon für dieses Bild, spielt die Musik.

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