Artikel, p.s. Zeitung

Zechprellerei

Warum ist die Schweiz eigentlich derart reich? Die Antwort darauf ist meist phantasiereich, aber eigentlich nicht schwer, wenn auch unangenehm: Ausbeutung. Ich weiss, das tönt etwas melodramatisch, aber damit ist schlicht die Tatsache gemeint, dass wir in (mindestens) vier zen­tralen Bereichen mehr nehmen als geben, bzw. dass wir auf Pump leben. Wir bestellen und konsumieren, aber wir bezahlen nicht.

Erstens ist das die Dritte Welt, also das T-Shirt zu 5 Franken, (das wir daher auch nur einmal tragen), also die globale Arbeitsteilung, die nur ein Gesetz kennt: Geiz ist geil. Zweitens ist es die Umwelt, die wir ressourcenseitig günstig ausbeuten und auf der anderen Seite günstig belasten, weil wir enorme externe, also ungedeckte Kosten verursachen, siehe aktuell beim CO2. Drittens ist es die hierzulande unbezahlte Arbeit in der Höhe von, je nach Schätzung, 60 Prozent (!) und mehr der bezahlten Arbeit, die zu rund drei Vierteln von Frauen geleistet wird, (was wir damit ‹belohnen›, dass wir ihnen tiefere Löhne und damit auch tiefere Renten auszahlen). Und viertens leben wir auf Pump bei den kommenden Generationen, indem wir eindeutig mehr Ressourcen beziehen, als uns in einem (fiktiven) Generationenbudget eigentlich zustehen würden.

Unser sogenannte Wohlstand, der von den bürgerlichen Parteien so gerne beschworen wird, den es unbedingt zu verteidigen gilt und der selbstverständlich nur auf unserem Fleiss, Innovationskraft etc. blablabla beruht, ist also in Wahrheit fake, ganz grob geschätzt wohl mindestens zur Hälfte. Will heissen: Wenn wir diese Lebenshaltung auf dem Prinzip der Zechprellerei aufgeben müssten, müssten wir in der Tat auf materiellen Wohlstand verzichten. Unterfüttert wurde und wird das selbstverständlich – wir leben ja immerhin in einem Rechtsstaat – auch gesetzlich, so etwa beim Steuerhinterziehungsgeheimnis, das wir auf Druck des Auslands fallen lassen mussten. So wird die Haltung gestützt, dass Zechprellerei normal sei – he ja, wenn sie ja gesetzeskonform ist!

An dieser Stelle werden Sie vielleicht einwenden, das machten ja andere Länder auch so und seien dennoch nicht so reich. Und zugegeben, es mag sein, dass bei uns noch mehr Faktoren hinzukommen, auch weniger peinliche. Aber ganz offensichtlich sind wir halt einfach besser beim Zechprellen als andere, nicht zuletzt gerade wegen unserer Gesetzgebung. Die Schweiz machte im Lauf der letzten Jahrhunderte ein richtiges Geschäftsmodell daraus. Und wie wenn es noch einen Beleg dafür bräuchte, fuhr unlängst die CS mit Karacho an die Wand, «To-big-to-fail-Gesetz» hin oder her. Erstaunlich ist nicht nur das Ausmass dieses nationalen Selbstbetrugs, erstaunlich und erschreckend ist, dass die offizielle Ökonomie sich standhaft weigert, ihn zur Kenntnis zu nehmen, und erschreckend ist auch, dass wir uns derart an solche Zustände gewöhnt haben, dass wir sie als Normalzustand annehmen und daher auch verbissen verteidigen. Im Moment können wir dabei zusehen, wie eine weitere Front im Abwehrkampf eröffnet und salonfähig gemacht wird: die Zuwanderung. Schuld sind also die Fremden, keinesfalls unsere Verschwendung, unsere Anspruchshaltung, unsere Masslosigkeit. Unser nationales Geschäftsmodell funktioniert zwar gar nicht, aber an uns kann das ja nicht liegen. – Im Schweizer Recht gilt übrigens: Wer etwas kauft, im Bewusstsein, dass er die Rechnung von vorneherein nie wird bezahlen können, begeht keine Zechprellerei, sondern Betrug.

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