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Schöner einkaufen

Der Räuschling floss in Strömen aus dem Brunnen und tat seinem Namen alle Ehre. Der Septemberabend war milde, die Gästeschar auserlesen. Der Grund des Anlasses auf dem Münsterhof: Finissage der Grüninstallation von Heinrich Gartentor (Pflanzenkisten auf Schafwoll-Humus-Unterlage). Und dann: Grosses Staunen über die Ansprache des Gewerbevertreters aus den umliegenden Geschäften. Sie seien zuerst sehr skeptisch gewesen, aber nun seien sie begeistert! Eine wunderbare Aktion! Eine Bereicherung! Und die Kasse stimme! Daher: jederzeit wieder! (Oder so, ich zitiere aus dem Nebel der Erinnerung.) Natürlich musste ich mich mal wieder unflätig benehmen und platzierte einen munteren Zwischenruf an die Adresse der bürgerlichen Anwesenden: «Hört auf das Gewerbe!»

 

Über «das Gewerbe» wollte ich schon lange mal schreiben, obschon ich dafür komplett nicht qualifiziert bin. Vom Gewerbe verstehen Grüne nämlich rein gar nichts. Gewerbe ist konservativ, parkplatzaffin, ungrün, materialistisch und damit die wandelnde Antithese zu mir. Grünes Gewerbe ist so etwas wie ein schwarzer Schimmel oder ein netter Grüner, also nicht möglich.

 

Aber natürlich gibt es «das Gewerbe» nicht, sondern es ist so vielfältig wie die Gesellschaft auch. Zudem wird es durch die falschen Leute vertreten. Und schon gar nicht hat es eine einheitliche Meinung. Daher muss man den Gewerbeverbänden dieses Landes kein Wort glauben. Das «K» bei den KMU steht zwar ohne Zweifel unter Druck. Es sind aber weniger Parkplätze oder Behördenschikanen, die dem Gewerbe Saures geben, sondern Mietzinswucher, Globalisierung, Digitalisierung und Innovationsträgheit. Die Gewerbeverbände sind eine Ansammlung von alten weissen Männern. Kein Wunder, sind bei den letzten Wahlen zwei ihrer Häuptlinge abserviert worden.

 

Spannende Lektüre letzthin in der alten Tante, eine Reportage über das Gewerbe in der Winterthurer Altstadt. Es gibt jede Menge Sorgen – Parkplätze und Politik gehören kaum dazu. Dafür all die Auswüchse und Begleiterscheinungen des modernen Kapitalismus, von Leerständen bis zu globalisiertem Internethandel, von der Mietzinsentwicklung bis zum Einzug anonymer Detailhandelsketten. Lädeli war gestern. Die Innenstadt verödet, da nützt auch die glitzerigste Weihnachtsbeleuchtung nichts mehr. Gejammert wird natürlich über anderes: Die Rahmenbedingungen! Die Leute, die im Ausland einkaufen! Die Jungen, die gar nichts einkaufen! Der Unternehmergeist erschöpft sich im Selbstmitleid. Ideen? Fehlanzeige. Nur manchmal zarte Eingeständnisse wie das obgenannte, nämlich, dass mehr Aufenthaltsqualität mehr bringt als freie Fahrt für freie KundInnen. Dass primär der öV die Kundschaft anliefert, ist empirisch bewiesen. Die Mär vom ursächlichen Zusammenwirken von Parkplatz und Umsatz liegt an der Verwechslung von Korrelation und Kausalität, man kann geradeso gut behaupten, ein Züri-WC «bewirke» Umsatz.

 

Daher ist die angedachte Reduktion von rund zehn Prozent der Parkplätze in unserer Innenstadt goldrichtig und überfällig! Der öffentliche Raum muss wieder allen dienen, und er muss den Menschen gehören, nicht den Blechkisten. Die Devise heisst: mehr Aufenthaltsqualität in der Stadt! Und ihr werdet sehen: Zum Schaden des Gewerbes wird das ganz bestimmt nicht sein. Oder wie das Lukas Bühlmann, Direktor von Espace Suisse, formuliert: «Die Parkplatzdiskussion versuchen wir zu durchbrechen und über andere Punkte zu sprechen.» Ja. Bitte. Hört auf das Gewerbe, wenn es denn schon mal etwas Wahres sagt.

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Mittelmass

Mit der politischen Mitte konnte ich noch nie viel anfangen. Mitte ist kein Programm. Und sie hat keinen Ort. Blaise Pascal sagte: «Le monde est une sphère, dont le centre est partout, la circonférence nulle part.» Recht hat er. Man kann sich durchaus eine Welt vorstellen, in der die SVP die Mitte darstellt. Den rechten Rand will man sich dann aber lieber nicht vorstellen. Den linken schon gar nicht. Es geht also einmal mehr um Definitionsmacht. Mir glaubt man ja auch nicht, wenn ich behaupte, ich sei die personifizierte Mitte. Nicht weniger komisch ist es, wenn man uns die Operation Libero oder Gerhard Pfister als Mitte vorstellt. Wenn ich was gelernt habe in bald 40 Jahren politisieren, dann das, dass es die erste Politikpflicht ist, den Nullpunkt in die eigene Richtung zu verschieben. Alles andere sind Nebelpetarden. In einer Zeit, in der alle versuchen, sich eingemittet zu verorten – AfD-Gauland versucht das sogar mit dem staatlich approbierten Faschisten Höcke! –, stellen sich daher drei Fragen:

 

Könnte es, erstens, sein, dass man politische Mitte mit Irrelevanz verwechselt? Eine Partei, die langfristig überleben will, muss einen gesellschaftlichen Grundwiderspruch ansprechen, also einen mit existenzieller Bedeutsamkeit. Etwa den zwischen Arbeit und Kapital. Oder den zwischen Kapital und Ressourcen. Oder den zwischen Wirtschaft und Gerechtigkeit. Oder auch den zwischen Abschottung und Öffnung. Leider aber ist ein Widerspruch zwischen Links und Rechts, den die Mitte meint adressieren zu müssen, keiner. Sondern die fruchtbare Grundlage jeder Demokratie.

 

Könnte es, zweitens, und daraus folgend sein, dass man politische Mitte mit fehlender Positionierung verwechselt? Etwa, weil es nicht beliebig viele Positionen gibt, die auch als solche erkennbar wären? Denn das braucht Haltung oder Radikalität. Ich möchte nur daran erinnern, dass die ErfinderInnen unseres Bundesstaates «Die Radikalen» hiessen. Was weniger mit Radikalismus, sondern viel eher mit den semantisch zu Grunde liegenden Wurzeln zu tun hat, womit das Zu-Ende-Denken gemeint ist, das jeder politischen Haltung gut ansteht, damit gesellschaftspolitische Lücken auch wirklich mit Lösungen gefüllt werden. Schüchtern nachgefragt: Wissen Sie, zum Henker, welche Lücken die Mitte bei uns füllt? Oder wie tief die Wurzeln der GLP reichen?

 

Könnte es, drittens, sein, dass man Mitte mit mangelnder Klarheit oder Labilität verwechselt? Man tut ja gerne so, wie wenn nur die Mitte kompromissfähig wäre, wie wenn sie zum Überleben einer Demokratie unumgänglich wäre. Falsch. Nur die Ränder sind kompromissfähig (nicht zu verwechseln mit kompromissbereit), weil sie die wichtigste Voraussetzung auf dem politischen Handelsplatz erfüllen: Sie starten, siehe oben, von einer erkennbaren Position. Die Leute vergessen immer wieder, dass der Kompromiss das Endresultat eines politischen Prozesses ist, nicht dessen Ausgang. Kommt hinzu: Die Ränder vertreten klare Interessen. Welches Interesse vertritt dagegen eine Mitte? Ist das überhaupt eine Klasse? Oder nur eine Crowd?

 

Die Seele der Schweiz ist nicht in der Mitte positioniert. Sie mag erhebliche Rechtslast aufweisen, aber sie ist hoffentlich auch in Zukunft bereit, willens und fähig, Lösungen zwischen den Polen zu finden, den Weg zu suchen. Das brauchen wir, vorab in Zeiten galoppierender Donaldisierung, aber eine institutionalisierte Mitte braucht’s dazu nicht.

 

Zwischen Rechts und Links gibt es jede Menge Distanz, aber keine Lücke.

 

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Die soziale Frage

Sehr schön. Die Handbremse ist gelöst. Es geht, endlich, los! Und schon wird gemeckert. Beziehungsweise es wurde schon vor den Wahlen gemeckert: Die neue Mehrheit (die natürlich keine ist) müsse jetzt vernünftig und vorsichtig sein, dürfe es ja nicht übertreiben und müsse sich ein Beispiel an den Rechtsbürgerlichen nehmen, die es vor vier Jahren übertrieben hätten und nun dafür blutig bezahlen mussten. Vor allem in der Klimafrage müsse man nun besonnen und wohltemperiert vorgehen und die arme Bevölkerung, die ja sowieso schon hochverschuldet sei, nicht plagen. Es gebe ja noch so etwas wie eine soziale Frage der Klimawandelbekämpfung.

 

Und plötzlich, man reibt sich die Augen, gilt die SVP als Erfinderin der sozialen Frage, gell AL! Die Kosten der Bekämpfung der Klimakatastrophe seien gigantisch und wir würden das verschweigen. Das Volk verarme und werde sich ob all der klimamarxistischen Massnahmen noch massig aufregen. Und die Grünen in vier Jahren abstrafen.

 

Das kann durchaus sein. Aber es wäre ein Missverständnis. Der SVP nehme ich das nicht übel, die machen erstens schon wieder Wahlkampf und haben zweitens eh nichts begriffen. Aber wenn Linke dem auf den Leim kriechen und Ähnliches von sich geben, haben sie so einiges vom Ziel eines System Changes nicht verstanden. Daher nochmals laut und deutlich: Die monetären und sozialen Kosten des Klimawandels sind um ein Mehrfaches höher als seine Vermeidung. Fragt mal die Menschen in der dritten Welt, die vom Klimawandel besonders betroffen sind! Denn: Der Lebenswandel sogar der Ärmsten in unserer Gesellschaft bewirkt, dass die Armen global noch weniger haben. Das ist die soziale Frage jenseits unseres Tellerrands. Dass innerhalb dieses Tellerrands eine zunehmende Ungleichheit herrscht, ist damit ja noch nicht bestritten worden und bleibt Gegenstand der Tagespolitik. Aber mit dem grünen Wahlsieg hat das nun wirklich rein gar nichts zu tun. Die Machtfrage bleibt so wie sie schon immer war.

 

Apropos Macht: Die entscheidende Frage ist: Wie lenken wir diese Kosten auf die richtigen Kostenträger? Wann endlich gelingt es uns, die immensen externen Kosten, die heute von uns allen getragen werden, auch von den MieterInnen, den SozialhilfeempfängerInnen oder den Nicht-FliegerInnen, auf die Kostenverursachenden zu überwälzen? Also dorthin, wo sie hingehören. Und umgekehrt: Wie verteilen wir die jährlich 13 Milliarden Franken, die wir künftig nicht mehr für fossile Energien ausgeben werden? Oder die über 12 Milliarden, die wir beim Umweltschutz einsparen könnten, oder die 10 Milliarden ungedeckte Kosten des Strassenverkehrs, wenn sie verursachergerecht gedeckt sind? Um nur ein paar Beispiele von vielen zu nennen.

 

Diese Wahlen haben es gezeigt: Die Bevölkerung betrachtet die ökologische Frage als Hauptwiderspruch, und sie ist nur gerecht, also unter Berücksichtigung der sozialen Frage, zu lösen. Etwas anders haben wir nie behauptet. Der Auftrag ist klar, sogar wenn es den AuftraggeberInnen dereinst grausen sollte; das dann aber auch nur, weil wir die Deutungshoheit über die Folgen des Auftrags den Rechtsbürgerlichen überlassen. Dass diese ihr bisheriges System verteidigen und den Teufel an die Wand malen, ist ja klar, sie profitieren davon. Dass der System Change ein besseres Leben für alle bringen muss, ist aber ebenfalls evident. Dass wir dabei die Welt retten, ist ein willkommener Kollateralnutzen. Wenn das nun endlich deutlich wird, hat sich der grüne Wahlsieg gelohnt.

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Graben, digitaler

Ein neuer Drucker muss her. Der alte ist ein Schmierfink. Da braucht es Wochen der Recherche, des Augenscheins und so manchen Customer Journey. Die Qual der Wahl ist gross, aber endlich wissen wir, was wir wollen. Wir schleppen zu zweit ein Riesenpaket heim und stellen es in die Wohnung. Der analoge Teil der Operation «Druckerbeschaffung» ist vollbracht. Nun kommt der digitale Teil.

 

Ich würde lügen, wenn ich behaupte, der sei länger gewesen. Dafür war er irgendwie frustrierender. Die Installation hat uns zwar nur einen Halbtag gekostet, aber wir wurden das Gefühl nicht los, dass wir einfach nur Glück hatten. Weniger Können. Schon gar nicht System. Sondern Trial and Error, viel Internetsuche, Kaffee und Fluchen. Und einmal mehr die Erkenntnis: Wer schafft sowas? Wie viele Menschen in unserer Gesellschaft wären garantiert ausgeschlossen von solchen Manövern? Sind alle im Arsch, die nicht, wie wir, einen Sohn (Informatiker) oder einen Schwiegersohn (Informatiker) als Rückfallposition haben? War das der tiefere Zweck des Kinderkriegens?

 

Sie haben richtig verstanden, ich spreche vom Digitalen Graben. (Und ich schreib den mal gross, das hat er verdient.) Die FDP schaufelt grad wieder mal daran: Sie forderte den Stadtrat unlängst auf zu prüfen, «wie sämtliche Geschäfte mit der Verwaltung elektronisch und aus dem Wohnzimmer heraus, unterwegs oder im Büro verrichtet werden können. Damit soll sichergestellt werden, dass in den Verwaltungs- und Regierungsorganisationen grössere Transparenz entsteht und die sogenannten Customer Journeys der Bevölkerung smart und effizient gestaltet werden». Geil, gell? Opa gestaltet künftig aus dem Wohnzimmer heraus seine Customer Journeys mit dem Steueramt. Sämtliche Behördengänge am physischen Schalter sollen unnötig werden. Der Vorteile sind Legion: «Dadurch entlastet man die Infrastruktur (z.B. öV, Strassen etc.), steigert die Effizienz sowohl bei den Bürgerinnen und Bürger als auch bei der Verwaltung, der Geschäftsverkehr mit der Verwaltung wird papierlos und damit senkt man den CO2-Ausstoss.» Das Grüne Wunder (ich schreibs auch gross) dank Smart City! Leere Strassen! Blühende Landschaften! Und die 30-Stunden-Woche fürs Stadtpersonal, weil das ist nun ja effizient!

 

Ob so vieler Ausrufezeichen wird man schon ein bisschen nachdenklich. Können denn das alle? Wollen das alle? Gab es da nicht noch ein paar andere Menschen? Zum Beispiel die rund 16 Prozent funktionalen AnalphabetInnen, die es bei uns gibt. Die wenig PC-Affinen, die eventuell sogar keinen haben. Die ärmeren, die sich keine Technik für den Customer Journey leisten können. Also gut und gerne zusammengerechnet knapp die Hälfte der Bevölkerung. Das sieht auch die FDP. Generös sagt sie: «Selbstverständlich muss für Einwohnerinnen und Einwohner, welche digital nicht so eloquent [sic!] sind, eine Anlaufstelle geschaffen werden, an der sie entsprechende Geschäfte unter Anleitung ebenfalls erledigen können.»

 

Eine Anlaufstelle, boah ey! Der Opa, wohnhaft in Leimbach, zieht die Schuhe an und fährt nach Seebach. Oder umgekehrt. Dort ist zwar kein Schalter, aber ein Roboter, der ihm das PC-Programm eloquent erklärt.

 

Wie nannte das doch die amerikanische Philosophin Nancy Fraser treffend: Regressive Verteilungspolitik. Verbunden mit den Versprechungen des Fortschritts und einer «emanzipatorischen Fassade». Was als fortschrittliche digitale Emanzipation von analogen Fesseln daherkommt, ist ein schlecht verkapptes Survival of the fittest: Alle anderen sind Beilage.

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Das Private und das Politische

Nachdem nun auch die australische Rechte behauptet, es nütze rein gar nichts, wenn Australien etwas gegen den Klimawandel unternehme, weil Australien doch so winzig und vernachlässigbar sei, müssen wir ein paar Antworten geben. Wenn die Sache nicht so grandios ernsthaft wäre, dass tatsächlich eher Panik angesagt ist statt zurücklehnen, müsste ich lachen: Da fragen doch tatsächlich ein paar – nicht wenige – Leute, die einen Millimeter vor dem Abgrund stehen, ob sie nun wirklich ein Schrittchen zurück machen sollten und nicht eines vorwärts, weil es doch zwei Jahrhunderte gut gegangen sei in dieser Marschrichtung, und ein Schrittchen alleine habe nun wirklich keinen Impact.

Auch meine Studis fragen mich öfters, ob sie jetzt immer noch fliegen dürften und so weiter. Und sie bekommen von mir dann jeweils ein eindeutiges und herzhaftes «kommt darauf an» zu hören. Denn in der Tat kommts auf die Lebensumstände an, denn wenn jemand wenig Wohnfläche besetzt und heizt, kein Fleisch isst, kein Auto fährt, wenig konsumiert etc., dann liegt ein Flüglein alle Jubeljahre durchaus drin. Oder umgekehrt. Es macht also Null Sinn, die einzelne Handlung zu verteufeln, die Wertung von privaten Handlungen bringt nichts. Stellt euch das so vor, dass wir alle bei der Geburt einen Kredit bekommen, quasi ein CO2-Budget, und das dürfen wir dann versauen, wie wir wollen. Zumindest wir in den hiesigen Gegenden. Gilt selbstverständlich nicht für Drittweltländer und MigrantInnen, wo kämen wir denn da hin.

Aber es stimmt auch das Umgekehrte, nämlich, dass Fliegen des Teufels ist. Denn es ist leider so, dass der oder die Einzelne wenig ausrichten kann bei der Rettung der Welt. Aber es ist auch so, dass die eigene Handlung immer noch als Maxime für kollektives Handeln gelten können sollte. Daneben gelten auch fiese Regeln, die mittlerweile wissenschaftlich genügend gut erkundet sind, wie etwa diejenige des Allmendedilemmas, wonach die Maximierung der privaten Rationalität und des privaten Wohls den kollektiven Untergang bewirkt. Bewirken muss. Wenn alle ihre Kühe auf die gemeinsame Allmende treiben, was aus der Sicht einer Einzelperson eine absolut rationale Handlung darstellt, dann wird die Allmende übernutzt und stirbt. Es nützt aber nichts, wenn ich verzichte, denn dann kauft der Nachbar einfach eine Kuh mehr. Das heisst: Wie ich mich auch immer entscheide, es ist immer allerhöchstens second best. Scheisse. Die Allmende ist unter diesen Handlungsanreizen zum Tod verurteilt. Ersetze Allmende durch Klima, et voilà.

Das Private ist politisch. Punkt. Nicht zum ersten Mal erkennen wir das glasklar. Dieses Mal wird das noch unterstrichen durch die Tatsache, dass ich mich alleine tatsächlich nicht klimakonform verhalten kann, selbst wenn ich mir noch so Mühe gebe, denn ich bin Teil einer Verschwenderwirtschaft, ich bin einem Zwangskonsum unterworfen, dem ich mich gar nicht entziehen kann: Die Strassenbeleuchtung brennt auch, wenn ich sie nicht brauche. Daher braucht es den berühmten Systems Change, aber auch Verhaltensänderungen bei uns allen. Selbstverständlich. Das eine wie das andere. Quasi: Fliegt weiter, wenn ihr unbedingt müsst, aber hört auf, das Klima kaputt zu machen.

In knapp zwei Wochen ist grosse Klimadebatte im Zürcher Gemeinderat. Und sie werden am Abgrund stehen, die Klappe aufreissen und behaupten, das bringe ja alles gar nichts. Und sie übersehen, dass die bisherigen Schrittchen, so klein sie auch sein mögen, uns immerhin bis an den Rand des Abgrunds gebracht haben.

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Post Scriptum

Jaa, ich weiss: Ich musste mich schon vor genau einem Jahr über Sie aufregen. Damals hatten Sie ja bereits die Saufrechheit, vom Bund Entschädigungen für die Dürre zu fordern, ohne auch nur den geringsten Gedanken an den Dreck vor der eigenen Haustür. Das war mehr als kühn, denn die Bauernsame ist ja leider klimatechnisch eher ein Teil des Problems als der Lösung. Ich bin mir Unverfrorenheit gewohnt in der Politik, aber – und Sie erlauben, dass ich mich selber zitiere –, nun ist der Fladen aber wirklich am Dampfen, um vokabularmässig im Stall zu bleiben, oder kurz: Ritter, es reicht schon wieder!

Eigentlich wäre es also nicht weiter erstaunlich, wenn Sie ein Jahr später nicht die Spur von Altersmilde zeigen, sondern noch einen Zacken zulegen. Dieses Mal geht es aber ums Wasser, und da hört bei mir die Milde ebenfalls endgültig auf. Es schleckt nun mal keine Geiss weg, dass die Landwirtschaft, aus welchen Gründen auch immer, zur Verschmutzung des Oberflächen- und Grundwassers beiträgt, und zwar massiv. «Die Grundwasservorkommen weisen zunehmend Verunreinigungen auf, die mehrheitlich aus der Landwirtschaft stammen», sagt das Bundesamt für Umwelt dazu. Wenn zu viel Gülle und Mist ausgeteilt wird, reichern sich halt zwangsläufig Nitrate im Wasser darunter an. Das ist bei sage und schreibe 40 Prozent aller Messstellen im Ackerbaugebiet der Fall. Kommt hinzu, dass auch Reste von Pflanzenschutzmitteln oder deren Abbauprodukte zu finden sind, schweizweit bei jeder zweiten Messstelle! Unser Grund- und Trinkwasser ist in Gefahr.

Und was meint der oberste Bauernboss dazu, selber immerhin ja ein Biobauer? Ein ebenso unsympathisches wie faktenfreies «Wir nicht, die andern schon» ist von Ihnen zu hören. Mehr nicht. Schuld sind: Das Bundesamt selber, die Industrie, die Haushalte und die Abwasserreinigungsanlagen, also alle anderen im Land. Super, Ritter! Ganz der verantwortungsbewusste Verbandspolitiker. Die Qualitätszeitung kommentiert: «Selbst für Ritters Verhältnisse ist die Reaktion bissig. Er, ein Biobauer, kämpft um die Existenz der intensiven Landwirtschaft: jener, die mehr als die Hälfte der Nahrung für das Land liefert, 1,5 Millionen Rinder, fast so viele Schweine und über 11 Millionen Hühner.» Und genau da liegt die Sau im Dreck, ums mal so zu sagen: Zu viele Viecher, zu viele Abwässer, zu viel Dünger, zu wenig Land dafür. Und: Auch ein Viertel aller Treibhausgase weltweit werden durch die Agrar- und Forstwirtschaft verursacht. Das alte Lied. Es ist allen bekannt, ausser Ihnen.

Mit einer gewissen Konsterniertheit darf ich zur Kenntnis nehmen, dass ich prophetische Fähigkeiten habe. Vor genau einem Jahr schrieb ich: «Nächstes Jahr sind Wahlen. Sie haben jetzt noch ein paar Monate Zeit, um den Kopf aus dem Misthaufen zu ziehen und zu beweisen, dass Sie sich wirklich für den Bauernstand einsetzen. Wenn’s blöd läuft, machen Ihnen ein paar Murgänge im Herbst und ein paar Lawinen im Winter noch einen Strich durch die Rechnung, aber dann können Sie ja nochmals ein paar staatliche Zuschüsse einfordern.» Und bei allen heulenden Hofhunden: Sie sind auf gutem Weg, sich noch mehr hineinzureiten. Bäuerinnen und Bauern erkennen immer mehr, dass es so nicht mehr weiter gehen kann mit der Viehhaltung, der Landschafts- und Bodenzerstörung, der Gewässerverschmutzung und mit einem Bauernboss, der den Ast, auf dem die Landwirtschaft sitzt, fleissig ansägt, indem er nur beschönigt und abstreitet, anstatt Lösungen zu unterstützen. Mal sehen, was der Herbst bringt.

Markus Kunz

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TINA

Auch wenn die FDP nun kuscht, gibt es dennoch kaum Konsens in der etwas zerredeten Klimadebatte. Ausser vielleicht einem, der allerdings entscheidend ist, nämlich: «So wie bisher geht es nicht mehr weiter.»

 

Das gilt zum ersten ökologisch, wo quasi Margaret Thatcher gilt, that There Is No Alternative to the Vermeidung of the Klimahorror, um es mal in Maurerschem Neudeutsch zu sagen. Es interessiert weniger, ob eine Massnahme mehr oder weniger zur Verhinderung oder Linderung der Klimafolgen beiträgt, es gilt alleine zu verhindern, dass die Massnahmen kontraproduktiv sind (Elektromobilität!) oder dass sie übermässig Mittel binden. Deswegen gleich das Hohelied auf Kompensationsmassnahmen im Ausland zu singen, ist manchmal ein verlogenes Ablenkmanöver, was aber nicht heisst, dass es sachlich im Einzelfall nicht berechtigt sein kann, denn es heisst ja «netto Null», nicht brutto. Es gibt da sogar einen Fall, bei dem ich lieber heute statt morgen eine Wirkung im Ausland hätte, nämlich wenn es darum geht, die Investitionen Schweizer Unternehmen in fossile Energien weltweit rigoros abzuklemmen. Hier hätten wir in der Tat ein gigantisches Kosten-Nutzen-Verhältnis.

 

Womit wir, zum zweiten, beim lieben Geld wären, denn, wie schon der britische Ökonom Nicholas Stern 2006 nachgewiesen hat, geht es nicht mehr weiter wie bisher, weil es am teuersten ist, wenn wir nichts tun. Die Vermeidungskosten werden logischerweise immer höher, je länger man zuwartet, und die Adaptionskosten explodieren. «Nur nichts tun ist billiger» zieht hier also genau nicht, ist aber die Devise der Ewiggestrigen. Schon klar, die verteidigen ihre klimavernichtende Wirtschaft. Und es mag sogar stimmen, dass die Umbaukosten für die Wirtschaft erklecklich sein werden, aber das ist eine überflüssige Bemerkung, denn «die Wirtschaft» baut sich andauernd um (und ist stolz darauf, die nennen das Innovation, Strukturbereinigung, usw.), das heisst, wir haben es eigentlich mit einem Mitnahmeeffekt zu tun, nur, dass das für einmal einer ist, der die Wirtschaft in die richtige Richtung mitnimmt.

 

Drittens gilt der Grundsatz, dass es so nicht mehr weitergehen kann, auch sozial, denn der heutige Zustand ist am allerungerechtesten – global, weil die anderen absaufen und wir nicht, lokal, weil es ja nicht sein kann, dass man das Privileg verteidigt, das Klima mit Billigflügen zu versauen, bloss das Privileg mittlerweile allen zukommt. Das ist kein sozialer Fortschritt, sondern ein Holzweg. Mal ganz abgesehen davon, dass es lachhaft ist, wenn im Rahmen der Klimafrage nun plötzlich das Wort «Sozialverträglichkeit» bei der CVP oder der SVP auftaucht.

 

Der Einwand, dass Kostenwahrheit Menschen in Bedrängnis bringen kann, ist aber berechtigt. Daher muss etwa eine CO2-Abgabe nicht nur saftig, und damit lenkend sein, sondern auch an die Bevölkerung zurückerstattet werden. Zweitens plädiere ich dafür, nicht die vereinzelten Sektorpolitiken gegeneinander auszuspielen. Armutsbekämpfung kann nicht unter Preisgabe unserer Energie- und Klimaziele realisiert werden, phantasievollere Ansätze wären nötig: Warum zum Beispiel sollten wir, analog zu den Prämienverbilligungen oder zu den AHV-Ergänzungsleistungen, nicht eine «ökologische Ergänzungsleistung» einführen, die es auch ärmeren Menschen erlaubt, Solarstrom, LED-Leuchten oder Minergie-Mietzinsen zu bezahlen? Geld dafür haben wir genug: 13 Milliarden Franken schaufeln wir heute jährlich ins Ausland für fossile Energien. Die wären in der Schweizer Gesellschaft besser investiert.

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Auf ein Neues!

Ich freue mich schon auf den grossen Streik. Das wird ganz bestimmt eine überwältigende Sache. Schon letztes Mal war’s toll. Obschon ich das eigentlich nicht so richtig behaupten kann, denn erstens ist es schon eine Weile her und zweitens war ich an diesem Tag in einem Hort beschäftigt. Zum Glück kam nur die Hälfte der Kinder, ich hätt’s sonst wohl nicht überlebt. Und ja, vermutlich war die Aushilfe, sagen wir mal: halblegal, aber es war der Hort, in den auch meine Kinder gingen und die Aktion war den Eltern bekannt.

 

Es gibt ja genug Gründe zum Streiken. Und genug unterschiedliche Streikformen, so dass sich alle beteiligen können. Es ist erschütternd, dass die Anzahl Gründe seit 1991 nicht abgenommen hat, ganz im Gegenteil. Die «feministische fakultät» hat dazu ja ein paar aktuell aufbereitete Zahlen geliefert: 100-248-1. Heisst: 100 Milliarden Franken Lohnverlust für die Frauen, pro Jahr notabene, wegen tieferen Löhnen; 248 Milliarden Lohnverlust pro Jahr wegen unbezahlter Carearbeit – und 1 Milliarde ist die Anzahl unbezahlter Arbeitsstunden alleine in der Kinderbetreuung. Damit Sie eine Vergleichsgrösse haben: 2017 betrug das BIP im Land 668 Milliarden Franken. Wichtig sind solche Zahlen auch wegen der Debatte über die Altersvorsorge, die nach der leider angenommenen STAF-Vorlage schon wieder gewaltig in die falsche Richtung läuft. Denn, und das ist alles andere als neu, all dieses Geld fehlt nicht nur im Arbeitsleben, sondern natürlich auch und besonders danach. Dass unsere Verfassung bezüglich den Zielen der Altersvorsorge etwas anderes vorschreibt, dieser fortwährende Verfassungsbruch ist alleine schon ein Streik wert. Und dass die andauernde Ausblendung des grössten Brockens in der nationalen Ökonomie, der Carearbeit, zu massiven Verzerrungen in den Modellen und Argumentationen in der Politik führt, ist extrem ärgerlich, nicht nur für Frauen.

 

Was nichts kostet, ist nichts wert. Das gilt auch und ganz besonders für die unbezahlte Arbeit. Deswegen ist ein Streik die richtige Massnahme. Streiks sollen ja nicht zuletzt zeigen, was passiert, wenn die als selbstverständlich angenommene Dienstleistung ausbleibt. Es ist dabei nicht von Bedeutung, ob wir uns die überhaupt leisten können. Wir tun es ja, nur einfach mit dem Haken, dass diejenigen, welche diese Arbeit verrichten, nicht gefragt werden. Als Dank schwafeln wir dann von einer Verlängerung des Arbeitslebens auch bei Frauen auf 65 und faseln dabei auch noch von einem ‹Kompromiss›.

 

Diese Debatte läuft wirklich gewaltig schief, auch bei den Linken, bis hinauf zum Bundesrat. Und besonders ärgerlich ist dabei, dass es ja eine Lösung gäbe, die vergleichsweise geradezu fair ist, einfach umsetzbar, sofort wirksam, zudem sozialverträglich und gut für den Generationenvertrag, und wenn Sie’s unbedingt brauchen, sogar liberal: Eine Erbschaftssteuer 2.0.

 

Klar, die Sache hat einen kleinen Haken, sie wurde schon einmal vom Volk abgelehnt. Aber wenn wir alles sogleich begraben würden, was schon mal abgelehnt wurde, könnten wir uns die Gleichberechtigung ohnehin ans Bein streichen. Wobei ok., die wurde nie abgelehnt, sondern nur einfach nicht umgesetzt. Dennoch: Eine Erbschaftssteuer könnte den gordischen Knoten unserer verlogenen Altersvorsorgedebatte durchschlagen. Ich hoffe fest darauf, dass jemand einen zweiten Anlauf unternimmt und dem Trauerspiel ein Ende bereitet. Vielleicht ist der Frauenstreik ja der Beginn einer wunderbaren Entwicklung. Zeit wärs.

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5G

Die NZZ widerspricht sich gerne und oft. In der Regel, weil die eine Hand nicht weiss, was die andere schreibt. Beim Mobilfunkstandard 5G ist es gar ein donnernder Leitartikel, der eine ominöse Front von Konservativen und «Linksalternativen» (hä?) gegen 5G senkelt, während hinten, unter «Literatur und Kunst», ein lesenswerter Beitrag über Hans Jonas und die ethische Herausforderung moderner Technikentwicklungen abgedruckt ist.

 

Ich sags gleich offen, ich bin kein 5G-Anbeter. Ich bin geprägt durch die Debatte der 80er-Jahre, die wiederum geprägt ist durch den Begriff des Vorsorgeprinzips. Dieses ist ganz einfach: Es widerspiegelt die Einsicht, dass sich viele moderne und hochproblematische Entwicklungen den Anforderungen und Mechanismen einer naturwissenschaftlichen Beweisführung entziehen. Viele Phänomene, vom Klimawandel bis zum Artensterben, aber eben auch technische Dinge, wie etwa die Wirkungen von 5G auf Lebewesen, bewegen sich in ihrem Ausmass wie in ihrer Kausalität ausserhalb der uns geläufigen Laborbedingungen. Wir können ihre Schädlichkeit erst erkennen, wenn sie bereits eingetreten ist. Wir können ihre Gefahren nur sehr beschränkt simulieren oder im Labor erproben, und damit können wir keine Voraussagen über die Auswirkungen machen. In den Worten von Jonas: «Wir wissen erst, was auf dem Spiele steht, wenn wir wissen, dass es auf dem Spiele steht.» Und auf eine solche Unsicherheit kann man ethisch sauber eigentlich nur mit Vorsorge reagieren. Es müsste eine Handlungsweise zur Anwendung kommen, die, gemäss Jonas, der Unheilsprophezeihung mehr Gehör gibt als der Heilsprophezeihung. Tut man das nicht, so führt man die Laborversuche zwar auch durch, aber im freien Feld und am lebenden Objekt.

 

Zu rechtfertigen wäre das nur, wenn die Vorteile ganz gewaltig überwiegen würden. Und da wirds politisch, denn die Vorteile sind bisher nur von den ökonomisch motivierten, da hoch investierten Anbietern behauptet worden. Niemand weiss, welchen Segen 5G bringen wird, alles sind vorderhand Versprechungen. Daher ist es auch folgerichtig, dass der NZZ-Leitartikel im Grunde nur die Investitionen und den (behaupteten) Wettbewerbsvorteil verteidigt. Kritik an 5G sei wirtschaftsschädigend, ob 5G umweltschädlich ist, ist nicht wichtig. Es ist zwar richtig, dass ein leistungsfähiges Mobilfunknetz eine wesentliche Voraussetzung für manche technische Anwendung wie das Internet of Things oder den automatisierten Verkehr ist. Aber seien wir ehrlich: Eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie erwünscht solche Entwicklungen sind, was sie uns bringen, wem sie etwas bringen und was die Auswirkungen sind, hat noch in keinster Weise stattgefunden. Stattdessen gilt einmal mehr: Wir können das, also tun wir das. Dass übrigens beide Entwicklungen wesentlich mehr Zeit benötigen werden, um sich durchzusetzen, ist ein offenes Geheimnis. Aber schon klar: Die Gewinne, die sich die Mobilfunkanbieter versprechen, müssen ab morgen erfolgen, nicht erst in 10 Jahren.

 

Das Potemkinsche Dorf hat einen Namen: Fortschritt − was eigentlich erstaunlich ist. Eine Nachhaltigkeitsdebatte, die zuerst eine Bedürfnisklärung anstrebt und erst danach die Frage angeht, wie dieses zu decken sei, damit wir nicht andauernd über die negativen Effekte des technokratischen Fortschritts reden müssen, sollte eigentlich schon lange Standard sein. In den 80ern hiess das, «Vorsorgen ist besser als nachsorgen», aber gemeint war dasselbe. Und dass gerade politische Kreise völlig unpolitisch argumentieren, wenn es um die Einführung neuer Technologien geht, ist bedenklich. Der Nutzen von 5G liegt, bis zum Beweis des Gegenteils, ausschliesslich bei den anbietenden Grossfirmen. Der Rest sind Erzählungen von einer rosigen Zukunft, in der euer Kühlschrank schlauer und euer Auto autonomer ist als ihr es jemals sein werdet.

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Zehn Jahre Zeit

Neulich war ich im Kunsthaus. Dort feiern sie 50 Jahre Mondlandung mit einer Ausstellung, die ich mal höflich mit «eklektizistisch» bezeichnen möchte. Man kann auch sagen: Chrüsimüsi. Aber auch das war durchaus geeignet, um Erinnerungen zu wecken.

 

An diesem Tag im Juli 1969 gingen wir alle zu Baltensbergers in den ersten Stock, weil die waren die einzigen im Haus, die «einen Fernseh» hatten. Sechs Mietparteien quetschten sich in Baltensbergers guter Stube vor den Tivi und guckten Mondlandung, kommentiert von Bruno Stanek, dem einzigen Raumfahrtexperten in der Schweiz, und selbstverständlich in schwarz-weiss und, aus der Entfernung eines halben Jahrhunderts geschätzt, mit einer Bildschirmdiagonale wie euer Laptop heute. Wenn ich jetzt die Bildli der Mondlandefähren betrachte, so zusammengelötete Dinger aus Stahlröhren, Alufolie und jeder Menge von Kabelsalaten, staune ich, dass überhaupt jemand freiwillig in so ein Teil eingestiegen ist. Vielleicht war’s ja doch nur eine Inszenierung in einem Hangar. Aber wie auch immer: Wir sassen vor der Glotze und hörten Armstrong dabei zu, wie er den Satz quäkte, den ihm ein Werbebüro aufgeschrieben hatte, vom kleinen Schritt von ihm und dem grossen für die Menschheit. Wir waren begeistert.

 

1969 war die Schweiz noch knapp nachhaltig, das heisst, sie ging gerade daran, es nicht mehr zu sein. Viele Indikatoren weisen darauf hin, etwa der Gesamtenergieverbrauch, und der Fussabdruck scheint in der Tat noch bei 1 gelegen zu haben. Allerdings ist das eine gewagte Behauptung, denn entsprechende Daten waren ja noch Mangelware. Dennoch darf ich sagen, dass ich aus einer nachhaltigen Generation stamme und nicht aus der Höhle, oder wenn schon, aus einer ölbeheizten, mit Schwarzweiss-TV. Aber schon da war natürlich schon lange nicht mehr alles im Lot.
Bereits 1962 war das Buch von Rachel Carson erschienen, Silent Spring, das als Start der Umweltbewegung bezeichnet wird, über den Einsatz von Umweltgiften, die bis heute (!) ein ungelöstes Problem darstellen. Und 1968 veröffentlichte die Apollo-8-Mission ihr ikonisches Bild der blauen Erdkugel, die aus dem Weltall aufsteigt. Ab da ging’s los mit der Mutter-Erde-Romantik, Pachamama hier, Gaia dort, alles in groteskem Kontrast zur ebenfalls startenden Ausbeutung der ach so zerbrechlichen Erde, Scheiss drauf: Die Vulnerabilität von Mutter Erde hat noch nie jemanden ernsthaft interessiert, zuallerletzt den Kapitalismus. Der hat seither jede Menge Instrumente und Anreize geschaffen, um die zarte Kugel auszubeuten, aber kein einziges, um sie nicht auszubeuten. Vom Markt sind keine Signale für die Weltrettung zu erwarten.

 

50 Jahre. Nichts gemacht, um die Welt auf nachhaltige Bahnen zu lenken. Auf den Mond fliegen können sie, aber die Weltrettung überlassen sie Greta. Natürlich hat auch das Kunsthaus, in seinem Sammelsuriumseifer, das Kennedy-Zitat ausgegraben, das er im Mai 1961, sechs Wochen nach dem Gagarin-Coup der Sowjets, von sich gab: Innert zehn Jahren solle ein US-Amerikaner den Mond betreten. «Es ist an der Zeit, dass diese Nation eine klare Führungsrolle im Weltraum einnimmt.» Damals haben die Bürgerlichen irre applaudiert und sich vor Freude eingenässt über den Pfundskerl, der eine solch wunderbare Utopie formulierte. Wenn man ihnen heute sagt, man wolle innerhalb der nächsten zehn Jahre auf Netto Null bei den CO2-Emissionen, nässen sie sich schon wieder ein. Dieses Mal vor Angst. Es ist an der Zeit, dass wir eine klare Führungsrolle bei der Ökologisierung der Welt einnehmen.

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