Artikel, p.s. Zeitung

Not. Recht. Und Vertrauen

Was hat eine Solaranlage im Alpenraum mit der «Rettung» des Bankenplatzes Schweiz oder mit dem Gaskraftwerk in Birr zu tun? Ganz einfach und salopp zusammengefasst: Das Ersäufen des Rechts im Mistloch der (behaupteten) Not. Gleich bei mehreren Themen stellt sich die Frage, ob in einem Rechtsstaat auch Ausnahmen gemacht werden dürfen vom Recht, und wenn ja, von wem, wie lange, wie ausgedehnt und aus welchen Gründen. Beim bundesrätlichen Notrecht ist das schwammig geregelt. Eine Linie ist nicht erkennbar, die Befürchtung des Missbrauchs steht im Raum. – Themenwechsel (nur scheinbar): Die Reaktionen auf die Grüne Haltung bei der Waffenausfuhr verstehe ich nicht so ganz. Auch hier müsste man bestehendes Recht ändern (geht viel zu lange, die Ukraine kann nicht warten) oder ausser Kraft setzen. Der Ball liegt also beim Bundesrat und seinem Notrecht. Die nicht im Bundesrat vertretenen Grünen geben sich legalistisch und werden dafür gebasht. Wer nicht mit Waffen helfen wolle (obschon es effektivere und legalere Wege gäbe), sei nicht wählbar. Warum also das Festhalten am mühsam erkämpften Waffenausfuhrgesetz? Ich kann nur für mich sprechen, und ich muss auch gleich gestehen, dass ich Verständnis für eine Ausnahme hätte, weil ich keine Bestätigung einer Mehrheit der UNO brauche, dass die Ukraine hier im Recht ist. Dennoch kann ich die Haltung der Grünen mühelos nachvollziehen. Das Verhalten des Bundesrates (und auch des Parlaments) in den letzten Monaten ist, nett formuliert, mehr als nur Slalom und, weniger nett formuliert: grenzt an Willkür. Putin ist zwar pfui, aber Rohstoff- bzw. Öl-/Gashandel mit Russland geht immer. Indirekte Waffenlieferung an die Ukraine geht gar nicht, direkte an das kriegsführende Saudi-Arabien no problem. In einer solchen Lage ist jede Durchlöcherung eines Gesetzes, das nicht irgendwelche Güter, sondern das Handelsgut Waffen regelt, mehr als nur heikel. Ich würde viel darauf wetten, dass ‹Ausnahmen› aus aktuellem Grund sofort dazu missbraucht würden, das Waffenausfuhrgesetz insgesamt zu unterlaufen. Unbestritten war es ja nie. Die Rüstungslobby reibt sich schon die Hände. Und da es Alternativen zu Waffenlieferungen gibt, um der Ukraine zu helfen – die Milliardengarantien für die CS beweisen das –, scheint mir der Preis einer Ausnahmeregelung zu hoch.

Denn der gemeinsame Nenner ist: Vertrauen. Wenn man, wie wir Grünen, eine Minderheit darstellen, ist man immer froh, den Schutz des Rechtsstaats auf seiner Seite zu wissen. Dieses Eis ist dünn. Warum sollten wir einem Bundesrat vertrauen, der in Sachen CS unverfroren die Interessen ausländischer Regierungen durchsetzt, die Öffentlichkeit manipuliert und wider alle Realität behauptet, das sei keine staatliche Lösung, die er da getroffen hat? Vertrauen in den Rechtsstaat ist genauso fragil wie das in die Banken. Wenn es tatsächlich möglich war, den CS-Bankrun mit einem einzigen Tweet auszulösen, dann will ich gar nicht wissen, was es braucht, um das Vertrauen in die Demokratie zu vernichten.

Ich fasse zusammen: Die Banken rettet der Bundesrat mittels Notrecht und übersteuert damit Verfassung und Gesetz. Das Waffenausfuhrgesetz übersteuert der Bundesrat nicht mit Notrecht. Weitere Entscheidungen werden mal mit (Gas-Kraftwerk Birr), mal ohne Notrecht gefällt, je nach Lust und Laune. Das Vertrauen in Regierung, Parlament, Recht und Markt ist damit wieder hergestellt / gestärkt / geschwächt / endgültig im Eimer. Nichtzutreffendes streichen.

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email