Artikel, p.s. Zeitung

Integration

Alle reden immer von den AusländerInnen, die integriert werden sollen. Ich erzähle Ihnen mal die Geschichte, wie ich eigentlich integriert wurde, und das dauerte notabene nur einen Sonntag. Es war kurz nachdem wir in die Siedlung für kinderreiche Familien eingezogen waren. Ich hatte und habe zwar nur zwei Kinder und weiss auch nicht mehr so genau, warum wir dort einziehen konnten, aber die Zeiten waren eben anders. Und die Wohnungen super. Und gross. Und bezahlbar. Und die Umgebung voll familiengerecht. Alles bestens.

 

Nur eben, mein Söhnchen, damals knapp fünf Jahre alt, verfügte über ebenso viel Wissensdrang wie Experimentierfreude. Und eines schönen Tages beschloss er, eine These, die er zusammen mit seinem neu gewonnenen Freund, einer Brillenschlange aus der Siedlung, entwickelt hatte, auf wissenschaftlich-empirische Weise zu erhärten. Nämlich, ob man mit Hilfe eines kleinen Zweigleins einem Autopneu die Luft ablassen kann. (Spoiler: Man kann.)

 

Gesagt, getan. An einem grauen Sonntag läutete es an unserer Türe, und ein extrem missgelaunter Giovanni fragte, ob das mein Sohn sei, der gerade einer ganzen Reihe von Autos die Luft aus dem Reifen gelassen habe. Da ich mein Söhnchen kenne, gab ich mich mal vorsichtig zerknirscht und trottete nach draussen. In der Tat: Inmitten der Siedlung, vor der mit Maschendraht abgesperrten Tiefgarage (in der übrigens der Quartierschmier, Jahre zuvor, einmal ein paar Stunden eingesperrt worden war – aber das ist eine andere Geschichte), stand eine ganze Reihe von Familienkutschen mit deutlich platten Pneus: These verifiziert. Söhnchen und Brillenschlange hatten sich aus dem Staub gemacht, und ich hielt insgeheim Ausschau, an welchem Laternenpfahl mich die SiedlungsbewohnerInnen, die sich mittlerweile zu einem Pulk zusammengerottet hatten, aufknüpfen würden. Denn, eins ist ja klar: Du kannst die Mutter von Giovanni beleidigen oder seine Heiligen verfluchen – aber lang ja nicht sein Auto an.

 

Man holte den TCS, der einen Kompressor mitbrachte und sich an die Arbeit machte. Währenddem stand ich mit Giovanni und allen anderen Mannen da – Karren und Kinder sind Männersache –, und wir quatschten. Vielleicht rauchten wir auch. Und klönten. Und redeten. Und lamentierten. Der Pulverdampf verzog sich, das Seil wurde eingerollt, denn es blieb als Essenz: Sono bambini! Als der TCS seine luftige Arbeit verrichtet und sich die Familienkutschen wieder aus der Schräglage aufgerichtet hatten, war einzig klar, dass in einer Siedlung für kinderreiche Familien kinderfreundliche Leute wohnen – egal, welcher Herkunft. Sono bambini! Söhnchen ward verziehen, und ich machte mir im Geiste eine Notiz, dass ich ihm noch das elfte Gebot beibringen müsse. Für das nächste Mal.

 

Damit waren wir aufgenommen. Giovanni entpuppte sich als Papierlischweizer, die Kurdin sprach Bärndüütsch, die Katholen waren die einzigen, die wirklich wussten, wie man eine Schwetti Kinder auf die Welt stellt, der Türke war fleissig, die Italiener waren bünzlig, die Schweizer italienisch, und der Dorfschmier getraute sich nie mehr in unsere Siedlung, bis er dann eh wegrationalisiert wurde. Wir waren alle ein grosser Clan, und das sage ich ohne Sozialromantik, denn auch das Clanleben ist meist etwas anstrengend, aber so manchmal hiess es eben: wir gegen sie. Und darum habe ich seither ein entspanntes Verhältnis zur Integration. Sie ist kein Ponyhof, aber im Kleinen funktioniert sie manchmal durchaus. Das ist wissenschaftlich erwiesen.

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