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Zehn Jahre Zeit

Neulich war ich im Kunsthaus. Dort feiern sie 50 Jahre Mondlandung mit einer Ausstellung, die ich mal höflich mit «eklektizistisch» bezeichnen möchte. Man kann auch sagen: Chrüsimüsi. Aber auch das war durchaus geeignet, um Erinnerungen zu wecken.

 

An diesem Tag im Juli 1969 gingen wir alle zu Baltensbergers in den ersten Stock, weil die waren die einzigen im Haus, die «einen Fernseh» hatten. Sechs Mietparteien quetschten sich in Baltensbergers guter Stube vor den Tivi und guckten Mondlandung, kommentiert von Bruno Stanek, dem einzigen Raumfahrtexperten in der Schweiz, und selbstverständlich in schwarz-weiss und, aus der Entfernung eines halben Jahrhunderts geschätzt, mit einer Bildschirmdiagonale wie euer Laptop heute. Wenn ich jetzt die Bildli der Mondlandefähren betrachte, so zusammengelötete Dinger aus Stahlröhren, Alufolie und jeder Menge von Kabelsalaten, staune ich, dass überhaupt jemand freiwillig in so ein Teil eingestiegen ist. Vielleicht war’s ja doch nur eine Inszenierung in einem Hangar. Aber wie auch immer: Wir sassen vor der Glotze und hörten Armstrong dabei zu, wie er den Satz quäkte, den ihm ein Werbebüro aufgeschrieben hatte, vom kleinen Schritt von ihm und dem grossen für die Menschheit. Wir waren begeistert.

 

1969 war die Schweiz noch knapp nachhaltig, das heisst, sie ging gerade daran, es nicht mehr zu sein. Viele Indikatoren weisen darauf hin, etwa der Gesamtenergieverbrauch, und der Fussabdruck scheint in der Tat noch bei 1 gelegen zu haben. Allerdings ist das eine gewagte Behauptung, denn entsprechende Daten waren ja noch Mangelware. Dennoch darf ich sagen, dass ich aus einer nachhaltigen Generation stamme und nicht aus der Höhle, oder wenn schon, aus einer ölbeheizten, mit Schwarzweiss-TV. Aber schon da war natürlich schon lange nicht mehr alles im Lot.
Bereits 1962 war das Buch von Rachel Carson erschienen, Silent Spring, das als Start der Umweltbewegung bezeichnet wird, über den Einsatz von Umweltgiften, die bis heute (!) ein ungelöstes Problem darstellen. Und 1968 veröffentlichte die Apollo-8-Mission ihr ikonisches Bild der blauen Erdkugel, die aus dem Weltall aufsteigt. Ab da ging’s los mit der Mutter-Erde-Romantik, Pachamama hier, Gaia dort, alles in groteskem Kontrast zur ebenfalls startenden Ausbeutung der ach so zerbrechlichen Erde, Scheiss drauf: Die Vulnerabilität von Mutter Erde hat noch nie jemanden ernsthaft interessiert, zuallerletzt den Kapitalismus. Der hat seither jede Menge Instrumente und Anreize geschaffen, um die zarte Kugel auszubeuten, aber kein einziges, um sie nicht auszubeuten. Vom Markt sind keine Signale für die Weltrettung zu erwarten.

 

50 Jahre. Nichts gemacht, um die Welt auf nachhaltige Bahnen zu lenken. Auf den Mond fliegen können sie, aber die Weltrettung überlassen sie Greta. Natürlich hat auch das Kunsthaus, in seinem Sammelsuriumseifer, das Kennedy-Zitat ausgegraben, das er im Mai 1961, sechs Wochen nach dem Gagarin-Coup der Sowjets, von sich gab: Innert zehn Jahren solle ein US-Amerikaner den Mond betreten. «Es ist an der Zeit, dass diese Nation eine klare Führungsrolle im Weltraum einnimmt.» Damals haben die Bürgerlichen irre applaudiert und sich vor Freude eingenässt über den Pfundskerl, der eine solch wunderbare Utopie formulierte. Wenn man ihnen heute sagt, man wolle innerhalb der nächsten zehn Jahre auf Netto Null bei den CO2-Emissionen, nässen sie sich schon wieder ein. Dieses Mal vor Angst. Es ist an der Zeit, dass wir eine klare Führungsrolle bei der Ökologisierung der Welt einnehmen.

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By design or…

Und schon wieder ist es passiert. Einerseits das mit einem Grünen Regierungsrat namens Martin. Bloss, dass er gekommen ist um zu bleiben. Und andererseits haben SP, GLP, AL, EVP und Grüne gemeinsam eine dringliche Motion eingereicht, mit der der Stadtrat dazu verpflichtet wird, Zürich innert nützlicher Frist CO2-neutral zu machen. Dazu muss er eine Vorlage ausarbeiten, die sagt, bis wann und ungefähr wie, und diese muss in einer Abstimmung bestehen. Und wenn das passiert ist, dann geht’s los. Der Weg wird ein weiter sein, aber gemäss Volksmund beginnt jeder noch so lange Weg mit dem ersten Schritt. Und den haben wir nun gemacht.

 

Wie wir es machen? Ich hab da so meine Ideen, aber die interessieren hier kaum. Denn der Weg ist klar: Fossile Energien ersetzen, und zwar alle, siehe Gletscherinitiative, nur schneller. Womit auch klar ist, dass die Zukunft des motorisierten Individualverkehrs nicht im Fossilmotor liegt. Zweitens: Rigorose Kreislaufwirtschaft. Die Jungen Grünen sind dran mit ihrer Volksinitiative. Drittens: Konsumverhalten umkrempeln. Ich setze vorerst mal auf die Volksinitiative zur Abschaffung der Massentierhaltung. Viertens (und das hören nicht alle gern): Wir fordern ja auch in der Stadt Zürich weise nicht einfach nur den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter, sondern «Netto Null». Das berücksichtigt, dass man auch in Zukunft fossile Energieträger einsetzen wird – wohl nur schon in der Kunststoffindustrie –, die aber zu kompensieren sind. Das Zauberwort heisst: Senke. Teils Technokratie, wenn es darum geht, CO2 aus der Luft zu filtern, teils Biologie, etwa beim Aufforsten. Leider wird dazu die Stadt Zürich nicht viel beitragen können, denn wir haben weder Platz für mehr Wald noch für mehr Humusflächen, beides excellente CO2-Senken. Aber wir sind eine Stadt, und damit stellt sich die Frage nach der Kompensation fuori le mura. Heikel.

 

Ich werde dieser Tage oft gefragt: Bedeutet das Verzicht? − Nun, ich ziehe dann jeweils die Riemchen meiner Sandalen stramm, zupfe meinen selbstgestrickten Wullipulli zurecht und hoffe, man rieche es nicht, wenn mein Atem beim Antworten verrät, dass ich seit 10 Jahren dieselbe Zahnbürste benutze, und ich sage dann: Kommt ganz auf dich an! Wenn wir, nach Abschaffung der Massentierhaltung, nur noch 10 Prozent so viel Fleisch zur Verfügung haben, ist das für alle VegetarierInnen kein Verzicht, für die Fleischfresser schon. Wenn das Fliegen 100mal mehr kostet als heute und man sich echt was überlegen muss bei der Ferienwahl, dann ist das für mich kein Verzicht, für andere schon. Und wenn ich dafür kostenmässig gradestehen muss, dass ich pro Jahr 250 Kilo Nahrungsmittel waste, dann… ich sehe, Sie haben es begriffen. − Verzicht ist eine ideologische Kampfparole der Verschwender. Verzicht ist subjektiv, also wertend, also nur gerade tauglich für die rhetorische Schlacht, die sich darum drückt, vernunftbasiert die Frage zu beantworten, was wir wirklich brauchen. Und nicht, was wir auch noch kaufen und fortwerfen könnten. Von daher bin ich gelassen. Das Leben mit «Netto Null» wird ein anderes sein, aber es wird genauso fein wie heute sein. Denn, es gilt immer noch: TINA. There Is No Alternative. Weil, Netto Null gibt es nur auf genau zwei Arten: by design or by desaster.

 

Und so haben wir ihn also gemacht, den ersten Schritt. Ich bin sehr erleichtert. Ich bin ungeheuer gespannt. Ich schreibe dies am ersten Geburtstag meiner Enkelin, und ich freue mich jetzt schon auf ihren achtzehnten. Dann werde ich ihr erzählen, wie wir das Desaster gerade noch knapp vermieden haben.

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Stillstand

Zu Zeiten, als das Träumen noch half, sagte sich BüBü, ach komm, lass es uns doch machen wie die Linken in der Stadt, behaupten wir einfach, es gehe uns gut. Und siehe da, flugs hing das so an allen Plakatwänden, und BüBü strahlte über alle zehn Bäckchen. Bloss hatte es übersehen, dass man eine solche Behauptung auch mit ein paar Fakten stützen sollte, so wie in der Stadt. Denn wenn man, wie Bübü im Kanton, derart versagt, braucht es etwas mehr als Träume. Fakt ist: Wir haben Stillstand im Kanton. Sage nicht nur ich. Sagt zum Beispiel auch die TA-Chefredaktorin. Nur BüBü tut so, als wenn der Elefant, der im Zimmer herumtrampelt, ein rosa Mäuschen wäre.

 

Ein paar Zahlen aus der Statistik (wobei leider nicht überall brandneue Zahlen verfügbar sind): Die Sozialhilfequote stagniert seit zehn Jahren, die Bezügerquote der bedarfsabhängigen Sozialleistungen stieg leicht an. Auch die Quote der Personen, die Ergänzungsleistungen beziehen, sinkt nicht. Kurz: Die Armut verringert sich im Kanton nicht, es geht nicht allen gut. Das spiegelt sich auch beim steuerbaren Einkommen wieder, dessen Median seit ebenfalls 10 Jahren so ziemlich stagniert. Die Arbeitslosigkeit schwankt zwar sehr stark, wird aber im Schnitt nicht geringer, im Gegenteil, bei den Werktätigen (15-65 Jahre) steigt sie sogar leicht. Kunststück: Die Anzahl neu geschaffener Stellen stagniert ebenfalls.
Im Umverteilen nach oben sind Parlament und Regierung allerdings meisterhaft: Der Gini-Koeffizient, Mass der Ungleichverteilung, ist in den letzten Jahren gestiegen und liegt über dem Schweizer Durchschnitt. Kein Wunder, wurden ja das Steuersubstrat in den letzten Jahren um über 1,2 Milliarden Franken pro Jahr reduziert, was aber nicht den Armen oder dem Mittelstand zugutekam, sondern denjenigen, die es nicht nötig haben. Damit erklärt sich von alleine, dass dieses Geld dann in der Staatskasse fehlt und den Kanton zu Sparübungen zwingt, wobei dann groteske Dinge passieren, wenn etwa mutige Sparvorlagen geschnürt werden, die dann später wieder kleinlaut abgelehnt oder wie im Fall «Schiffsfünfliber» rückgängig gemacht werden. Betrachtet man übrigens den Gini beim Vermögen, so stehen einem die Haare zu Berge: So besitzen weniger als drei Prozent der Personen 50 Prozent des Vermögens im Kanton, und nein, es ist kein Trost, dass wir im interkantonalen Vergleich damit noch gut wegkommen.

 

Aber he ja, wie soll es Zürich auch gut gehen, wenn die wichtigsten Standortfaktoren systematisch verschlechtert werden: Bildung, Gesundheitswesen, Kultur, Umwelt. Der Nettoaufwand für die Bildung stagniert seit bald 10 Jahren, derjenige für Kultur seit 20 Jahren. Seit gar 30 Jahren stagniert er bei den Aufwendungen für die Umwelt, wobei diese in den letzten 5 Jahren sogar massiv gesunken sind. Und dass die Gesundheitskosten nicht im Griff sind, dafür die Prämienverbilligung fortwährend unter Beschuss, pfeifen die Spatzen von den Dächern.

 

Schliesslich gibt es einen Riesenhaufen von ungelösten Problemen, deren Lösung BüBü furzegal ist: Flughafenlärm, Autostaus, Atomlager, Deponien, Lärmschutz, Pestizidbelastung, Zersiedelung, Mikroplastik im Trinkwasser, Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft, und so weiter. BüBü hat es nicht einmal geschafft, ­innerhalb von fünf Jahren das Raumplanungsgesetz fristgerecht umzusetzen. Nun steht Zürich auf der schwarzen Liste des Bundesrates und unterliegt einem Einzonungsmoratorium…
Stillstand und Rückschritt. Nichtstun und Arroganz. Phantasie- und Einfallslosigkeit den grossen Problemen gegenüber. BüBü träumt weiter. Ach komm, zum Glück sind ja bald Wahlen.

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Spitalstrategie

Ich war in meinem ganzen Leben noch nie länger als einen halben Tag im Spital, also «ambulant». Soeben hab ich «stationär» nachgeholt. Zwei Wochen im Unispital sind, nun ja, sagen wir mal: äusserst lehrreich.

 

Das Hauptgebäude ist zwar wirklich schön, aber am Ende der Lebensdauer und sowas von unpraktisch. Man sollte es abreissen und durch etwas ersetzen, das auch schön ist – Wir schaffen das! –, aber zudem funktional. Es muss für die PatientInnen funktionieren, aber vor allem fürs Personal, denn darum geht es. Ich verstehe wirklich nicht, warum man dem Denkmalschutz auch nur einen Hauch Mitspracherecht gibt – der sollte einfach mal ein paar Tage hier Bettpfannen leeren, und die Sache sähe wohl anders aus. Ein Land, das sich solche Blinddärme wie den Denkmalschutz leistet, ist krank. Genauer: Meinetwegen soll er sich für alte Villen in schönen Parks einsetzen, aber doch nicht für Funktionalbauten!

 

Zweitens: Das Personal. Hier ist die Diagnose sowas von klar: Es arbeitet am Limit. In der Regel drüber. Hektik, Stress, Überstunden, Überbelastung, und danach das Ganze wieder von vorne. Und dabei immer geduldig, empathisch und nett bleiben. Aber keine, die ich darauf anspreche, ist zufrieden mit der Lage (es sind, natürlich, fast alles Frauen). Ich wünsche wirklich von ganzem Herzen allen Bürgerlichen, die – nicht nur bei den Stadtspitälern – dauernd vom Sparen reden, einfach mal einen saftigen geplatzten Blinddarm. Dann dürfen sie da am Tropf liegen, warten, bis die Pflegerin aufs Läuten reagiert, und zusehen, wie sie, nach getaner Arbeit wieder losrennt, wobei ihr Pager schon vorher bereits ein halbes Dutzend Mal gesummt hat und ihre Bewegungen zunehmend leicht hektischer wurden. Wir reden dabei nur von den allerwichtigsten Verrichtungen wie Wundpflege, Vitalfunktionen aufnehmen oder Spritzen setzen. Wir reden nicht von Hilfe beim Duschen – machen Sie das mal zu Hause übungshalber verkabelt mit einem Infusionsständer als Begleiter, aber legen Sie sich vorher noch ein paar Drainagen, sonst ist das zu leicht –, noch beim Ankleiden, und schon gar nicht reden wir von weiteren, eigentlich äusserst wichtigen Tätigkeiten, wie etwa dem Gespräch mit den in der Regel verunsicherten und verängstigten Patient­Innen, die der ganzen riesigen Maschinerie ausgesetzt sind und eigentlich sowas wie eine Übersetzungshilfe benötigen, um nicht völlig als reine Objekte unterzugehen. Was ich alleine in den paar wenigen Tagen an verkorksten Kommunikationssituationen erlebt habe, geht auf keine Kuhhaut: Von der «instant» Operationseinwilligung in einer Minute bis zu pflegerischen Entscheiden in drei Minuten mit Konsequenzen allenfalls fürs ganze Leben – der reinste Wahnsinn. Der reinste Normalfall hier.

 

Es bräuchte dringend viel mehr Personal. Qualifiziertes Personal. Was wiederum davon abhängt, wie viel Zeit man in die Ausbildung investieren kann. Wir müssen zudem dringend aufhören, betriebswirtschaftliche Kriterien in der Spitalpolitik anzuwenden. Auch mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich sehe, welche Materialschlachten hier geliefert werden, wie viel Plastik verschleudert, wie viel Einwegbesteck aus Metall weggeworfen wird. Aber das hat nun mal seine (Hygiene-)Gründe, und genau solche Kriterien bestimmen das Leben hier: Gesundheit wiederherstellen, Lebensqualität für PatientInnen aufbauen, Arbeitsplatzqualität erhalten. Das kostet. Soll es auch.

 

Ach ja, und Betten hat es hier übrigens viel zu wenig. Das heisst, bei den Privatpatienten soll es Leerstände haben, hört man…

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Schulmeistern

Bange machen gilt nicht. Strahm tut’s trotzdem. Die Annahme der Zersiedelungsinitiative, so führt er raumgreifend (und in der Gratiszeitung auch polemisch) aus, habe zur Folge, dass der Boden ein zunehmend knappes Gut werde, was ihn verteuern werde, was zu steigenden Mietpreisen führe. Daher sei die Initiative gefährlich.

 

Gefährlich ist allerdings höchstens, wenn alte Männer junge Leute schulmeistern wollen. Denn was der alt-Preisüberwacher und alt-Nationalrat Strahm da sagt, mag zwar irgendwo noch im Märchenschatz der Marktwirtschaftstheorie vergraben sein, wird in der Praxis aber durch andere preistreibende Aktivitäten überdeckt, wie Zinsentwicklung, Abzockerei etc., kurz, die Mieten steigen nicht nur, weil der Boden knapp wird. Wenn’s allein das wäre, müsste Strahm konsequenterweise für die Verstaatlichung des Bodens sein. Aber vor allem: Die Knappheit ist ohnehin unausweichlich. Denn Boden ist mit oder ohne Initiative ein nicht vermehrbares Gut, und wenn die zersiedelte Überbauung ungebremst weitergeht, steigen die Preise so oder so. Genau deswegen fordern wir ja seit jeher wohnbaupolitische Massnahmen. Strahm beschreibt also nur, was eh eintreten wird. Und es ist nicht hilfreich, solche unausweichlichen Prozesse als Ausrede gegen den Wandel zu benutzen, der genau solche Prozesse zumindest abschwächen will.

 

Die Jungen, nicht nur die Jungen Grünen, haben zunehmend keinen Bock mehr auf alte Männer, die ihnen verwehren, was sie selber jahrzehntelang konsumiert haben. Sie gehen auf die Strasse fürs Klima, und sie benennen schonungslos unsere Unfähigkeit, das Richtige zu tun. Sie, oder wohl eher wir selber, stellen uns bloss, weil wir als Antwort auf ihre Klimasorgen die Schulordnung schwenken und irgendwas von «demonstrieren kann man auch am Samstag» sabbern. Oder veraltete Theorien von der Knappheit der Güter von uns geben, die keine Sau interessieren.

 

Denn: Wir werden zunehmend in solche Debatten kommen, die Zersiedelung ist erst der Anfang. Wasser zum Beispiel wird knapp werden. (Und ist ja genau deswegen interessant für Privatisierungsgelüste.) Auch, weil es immer noch durch Pestizide vergiftet wird. Oder weil die Gletscher verschwinden. Ressourcen werden knapp werden oder sind es schon. Manchmal auch künstlich, manchmal sehr natürlich. Recycling, Kreislaufwirtschaft, Suffizienz interessiert keinen, wir benehmen uns, wie wenn es fünf Erden gäbe. Nahrung könnte sodann knapp werden, vorab Fleisch muss sogar knapp und viel teurer werden, denn ökologisch ist die Massentierhaltung unhaltbar. Schliesslich: Platz wird knapp, zumindest in den Städten. Der Verdrängungskampf ist auch auf einer heilen Insel wie Zürich in gnadenlosem Gang. (Die Liste liesse sich beliebig verlängern, der Platz hier im P.S. leider nicht.)

 

Strahm kommt noch aus der Verschwendergeneration. Die musste nie über Knappheit nachdenken, ja die Ökonomie, die selbsternannte Wissenschaft von der optimalen Allokation knapper Güter, versagte jämmerlich und lieferte nur das Mäntelchen für die Legitimierung der Ausbeutung von Mensch und Natur. Der Nationalökonom Strahm leistet keinen Beitrag zu einer seriösen Nachhaltigkeitsdebatte. Wenn das Argument zutreffen würde, dass der Widerstand gegen die Verschwendungsgesellschaft die Güter knapp und damit teurer werden lasse, wäre die logische Folge die Fortsetzung der Verschwendung bis zum baldigen Kollaps. Strahm weiss also keinen Ausweg. Die Zersiedelungsinitiative schon. Denn nicht-erneuerbar heisst nicht erneuerbar.

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An die Wand

Ich sitze vor der Zeitung und lese, dass es der Frau May gelungen ist, England wirklich tiefgreifend zu spalten. 40 Jahre, nachdem die Sex Pistols fröhlich nach «Anarchy in the U.K.» geschrien haben, ist das Land in der Tat komplett anarchisch an die Wand gefahren worden. Die ersten Medien reden von Bürgerkrieg, und denkt man an die Zustände in Irland, so ist das leider nicht völlig ausserhalb jeglicher Vorstellung.

 

Zur gleichen Zeit fliegt Emmanuel Macron, dem einzigen Politiker, der es je geschafft hat, zugleich Wolf im Schafspelz und Schaf im Wolfspelz zu sein, Frankreich um die Ohren. Dem Labberi und Umverteiler sitzen die Gilets Jaunes auf der Pelle, und egal, was man von dieser Bewegung halten mag, aber wenn brave bürgerliche Normalos in komischen Westen Container anzünden, dann ist definitiv was falsch gelaufen.

 

Zur gleichen Zeit läuft alles falsch in Italien, wobei die Zustände dort, wie immer beim südlichen Nachbarn, noch einen Zacken grotesker, mehr amerikanisch quasi, aussehen. Italien ist gleich mehrfach gespalten, zwischen Nord und Süd, zwischen rechts und ultrarechts, zwischen vernünftig und Lega und so weiter, quasi 5-Sterne-mässig. Auch das hat nicht sehr lange gebraucht, das Land ist wirtschaftlich am Abgrund, die Stimmung bereits einen Schritt weiter.

 

Ich sitze vor der Zeitung und lese von einem tief gespaltenen Brasilien, von einem Spanien, das seine Sezessionsbewegungen keineswegs im Griff hat, von Österreich, um dessen zerrissene Gesellschaft es nur vorübergehend etwas ruhiger geworden ist – und von Ungarn, den USA und Maudets FDP wollen wir schon gar nichts mehr lesen, das kommt nicht besser. Woher, verflucht nochmals, kommt bloss diese Lust, ein Land, eine Gesellschaft einfach an die Wand zu fahren, draufgehen zu lassen, einfach zuzusehen und gar noch zu fördern, wie alles den Bach ab geht? War das schon vorher in der Gesellschaft drin, und die Politik holt es einfach heraus wie eine Hebamme? Oder ist es die neue Generation – quatsch, zwischen May und Kurz liegen Äonen! – von Regierungspersonen? Ich meine, wir wollten, früher mal, spasseshalber aus dem Staat Gurkensalat machen, einfach nur, weil es sich reimt, aber Witzfiguren wie Boris Johnson, Salvini, Strache und wie sie alle heissen, schaffen das im Handumdrehen? Hallo?

 

Ich sitze vor dem PC und sehe auf Youtube eine junge Frau, gerade mal 16, in einer leicht zu grossen Trainerjacke, die Haare zu zwei langen Zöpfen geflochten, ernster Gesichtsausdruck, und sie tut etwas, bei dem ich die Hosen randvoll hätte, nämlich an einem TED-Talk vor Hunderten von Menschen reden. Und sie tut das ohne Zettel, in tadellosem Englisch, knapp zwölf Minuten lang, fliessend (wer will: https://youtu.be/EAmmUIEsN9A). Sie heisst Greta Thunberg und ist dieselbe, die monatelang jeden Freitag die Schule schwänzte und vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm protestierte, schlicht, weil die Politik nichts – oder viel zu wenig, was in diesem Fall gleichbedeutend ist mit nichts – gegen den Klimawandel unternimmt, und sie hat Hunderttausende von Schülerinnen und Schülern weltweit inspiriert, bzw. angesteckt bzw. mitgerissen. Was sie sagt, ist für einen Grünen nichts Neues. Aber wie sie es sagt, ist ungehört, denn sie redet Klartext und das von der Sorte, die in ihrer geradezu unbedarften Einfachheit bis aufs Komma passt: Erwachsen genug, um die Wahrheit zu sagen.

 

Es gibt also doch noch so etwas wie Wahrheiten. Greta ist die Antithese. Mir macht sie Mut. Genug für 2019.

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Wasser und Wein

Eines Tages kam meine Tochter nach Hause und sagte, ihre Sekundarklasse plane eine Reise nach Paris und zwar mit dem Flieger oder mit dem Zug. Und ich so: Mein liebes Kind, du wirst selbstverständlich in der Hölle schmoren, wenn du fliegst, aber ich bin liberal und nett und daher werd ich den Teufel tun und dir das ausreden, also mach, was die Mehrheit will. Natürlich entschied sich die Klasse für den Flug. Keine paar Tage später hatte ich einen Brief im Kasten von einer erzürnten Mutter, was mir eigentlich einfalle zum Henker, ich sei doch ein Grüner, das ginge ja wohl gar nicht, usw. usf., und ob sie auch noch das Wort «verlogen» hingeschrieben hatte, weiss ich bigoscht nicht mehr.

 

Nun, damit muss man leben. Denn wenn ich anders entschieden und das Kind dazu angestiftet hätte, seine Gschpänli zu indoktrinieren und vom Zug zu überzeugen – tja, dann verwette ich meine ganze Nettigkeit, dass es keine paar Tage gedauert hätte, bis ich einen Brief von einer erzürnten Mutter (oder einem Vater) erhalten hätte, des Inhalts, was mir eigentlich einfalle zum Henker, etc. pp. Und ganz bestimmt, aber sowas von ganz bestimmt, hätte der Brief auch noch das Wort «Taliban» oder so enthalten, da kannst du machen, was du willst.

 

Nun ist es kein Beinbruch, wenn man auch von PolitikerInnen Konsequenz einfordert. Oder zumindest ein bisschen Haltung und Übereinstimmung mit ihren Ideen. Verlogenheit dagegen, also Wasser predigen und Wein saufen, geht gar nicht. (Und nur so nebenbei: Das Doofe ist, dass es bei einem Grünen auch nicht geht, Wasser zu predigen und Wasser zu saufen, elendige Spassbremse.) Allerdings ist nun das mit der Frau Weidel von der AfD aus Biel schon etwas speziell: Lebt die doch mit einer Frau in einer Partnerschaft, deren Hautfarbe nicht dieselbe ist, wie man liest, und die beiden haben Kinder, und schicken die auch noch in eine Kita! Wobei, da sag ich ja: Soweit alles très sympa.

 

Nur dass dann die Weidelsche, kaum ist sie am Montag von Biel nach Berlin zurückgereist und steht wieder vor dem Parlament, gegen Homosexualität, MigrantInnen und Staatskinder in der Kinderbetreuung hetzt. Pas du tout sympa! Denn derart verzwurgelt kann man im Kopf gar nicht sein, dass man da etwas durcheinanderbringen würde in guten Treuen, und es ist auch nicht anzunehmen, dass die Weidel ernsthaft damit rechnet, dass die Medienöffentlichkeit ihren Spagat nicht schnallt. Nein, ich nehme im Gegenteil mal an, das ist bei ihr kalte Berechnung. Bloss, was ist jetzt das? Wein trinken und gegen Wein hetzen? Gibt es neuerdings nicht nur alternative Fakten, sondern auch sowas wie alternative Tatbeweise?

 

Natürlich gibt es einen Unterschied zur Haltung, selber konsequent zu leben, aber anderen nicht vorzuschreiben, wie sie das zu sehen haben. Also «ich trinke Wasser, mach du, was du willst». Die Weidel macht das genau umgekehrt, was zwar an ihrer politischen Integrität kratzt, aber leider nicht heisst, dass sie nicht effektiv sei in dem, was sie tut und sagt. Integrität ist schon lange keine Anforderung an die Politik mehr, das musste uns nicht erst ein Donald beweisen. Beispiele gibt es genug, angefangen vom Parlament in Bern, das sich grad wieder mal in der Verwässerung des CO2-Gesetzes übt, nachdem es dem Pariser Abkommen zugestimmt hat, bis hin zur Dauerdisziplinierung von Asylbewerbenden oder Sozialhilfebeziehenden, die, wenn schon, nur verdrecktes Wasser trinken sollen, damit uns der Wein besser schmeckt. Oder so. Aber vermissen tun wir schon was, oder?

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Lügen 2.0

Alle PolitikerInnen lügen. Das taten sie schon immer und nicht mehr und nicht weniger wie alle Menschen, also 200-mal pro Tag, wie man liest. Tut nichts zur Sache, jede Gesellschaft hat die PolitikerInnen, die sie verdient, zumindest in einer Demokratie. Jegliche Empörung ist ebenso rührend naiv wie unappetitlich verlogen, weil es nicht den geringsten Grund gibt, warum PolitikerInnen bessere Menschen sein sollten, als alle anderen.

 

Nur: Was wir heute erleben, ist schon schockierend. Es geht nicht mehr nur um die Lüge als Ausnahme und Abweichung von der Wahrheit, schnell entlarvt und ebenso schnell vergessen. Und es geht auch nicht mehr darum, obschon es immer noch vorkommt, dass die Wahrheit mit Gewalt unter den Teppich gekehrt, manipuliert oder schlicht verboten wird – quasi die Steinzeit der Lüge. Nein, es geht heute um das Wegbrechen aller bisherigen Diskursregeln, um die totale Umbildung der Wahrheitswerte ins Gegenteil, um Fake-News.

 

Der Journalist Constantin Seibt hat das letzthin in einem sehr erhellenden Text auf den Punkt gebracht. Der Angriff starte mit dem Ersatz von Fakten durch Meinungen. Ob Klimawandel, fremde Richter oder Quantenphysik – alles eine Frage der Meinung! Menschenrechte? Kann man in guten Treuen für oder gegen sein! Und Seibt vergisst nicht, darauf hinzuweisen, dass «eine ganze Industrie zur Produktion von alternativen Fakten: Thinktanks, Universitäten, Medienimperien» dafür zur Verfügung steht, mehrheitlich auf der rechtskonservativen Seite. Meinungen, aber eben auch manche Fakten, sind nicht, sie werden gemacht.

 

Stufe zwei, so Seibt, sei dann erreicht, wenn die Fakten nicht mehr nur eine Frage der persönlichen Meinung sind, sondern eine der Loyalität. Wenn man für Trump ist oder für Orban oder für den Dings aus Herrliberg, dann muss man auch dessen Wahrheit vertreten. Selbstverständlich gibt es das auch von links, fragt sich einfach, ob mit derselben Durchschlagskraft. Denn die Lüge ist bei Autokraten ein Unterwerfungsmittel – und da fragt es sich, ob die Anfälligkeit dafür gleichmässig verteilt ist.

 

Stufe drei ist dann erreicht, wenn die Autokraten die alleinige Quellenwahrheit für sich beanspruchen. Quasi: Wenn ja doch nur die SVP die Wahrheit sagt, warum sollte ich mich dann aus mehreren Quellen mit Infos versorgen? Auch das ist nicht ganz neu (der Papst!), aber in der säkularisierten Form doch eine neue Erscheinung in diesem Ausmass. Zum Schluss werden Nägel mit Köpfen gemacht: «Die vierte Stufe kennt man aus der Geschichte: Sie zündet, wenn die Justiz mitmacht. Und jede abweichende Meinung strafbar wird.»

 

Was in dieser erschreckenden Analyse tröstlicherweise etwas fehlt, ist Wesen und Substanz jeder demokratischen Bemühung. Dass hinter vielen Fakten auch Ziele stehen, die breit anerkannt sind, die sinnvoll sind – und gerecht. Dass um Ziele gekämpft werden musste und werden kann, wie zum Beispiel bei den Menschenrechten. Dass deren Notwendigkeit kaum bestreitbar ist, wie etwa beim Klimawandel. Lügen verzögern hier zwar, aber sie haben nicht unbedingt die längeren Beine. «Ist eine Gesellschaft derart gespalten, dass platte 180-Grad-Lügen genügen, ist die demokratische Debatte tot. Die Macht der Lüge kann nicht mehr durch Entlarvung oder Argumente gebrochen werden. Sondern nur, indem die Macht der Lügner gebrochen wird.» Alsdann! Denn die Autokraten rechnen nicht mit Vielfalt, Hartnäckigkeit und Phantasie. Und sie sind sterblich. Aber einfach wird das nicht, da haben Sie recht.

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Kahlschlagcharakter

Kahlschlag, der, Subst., mask. (ich würd’ sogar meinen: extrem mask.) «bezeichnet in der Forstwirtschaft eine Fläche, auf der alle aufstockenden Bäume planmässig in einem oder wenigen einander in kurzen Intervallen folgenden Hieben entnommen wurden.» Sagt Wikipedia. Na also. Halb so schlimm. Es stehen ja noch einzelne Bäume am Hang. Nur: «Das Belassen einzelner Bäume verändert den Kahlschlagcharakter nicht.» Ups. Aber immerhin dauert es dann wieder 100 Jahre, bis die Fundis erneutes Geheul anstimmen können. Von Kahlschlag dürfen wir dagegen ungeprügelt bei Novartis sprechen. Obschon da auch noch ein paar Restbestände in Basel stehen bleiben.

 

Was wäre denn das Gegenteil? Einzelstammwirtschaft? Aber oha: «Der betriebliche Aufwand ist geringer [gemeint: beim Kahlschlag] als bei Einzelstammwirtschaft.» Mist. Also doch ökonomische Gründe. Qualitäts- und Gratiszeitung melden: Holzverkauf nach China, aber Gemach: Die Firma, die das macht, ist selbstverständlich FSC-zertifiziert. FSC kam erst gerade kürzlich in die Schlagzeilen. Alles andere als nachhaltig, die ‹Schreiner-Zeitung› spricht sogar von «FSC-Lüge». In den FSC-Regeln steht auch so einiges über den Umgang mit der lokalen Bevölkerung. Gemeint sind zwar primär indigene Völker und nicht SpaziergängerInnen am Üetliberg, aber: «Der Forstbetrieb ergreift unter Beteiligung der lokalen Bevölkerung Massnahmen, um erhebliche negative soziale, ökologische und wirtschaftliche Auswirkungen durch die Bewirtschaftung auf die lokale Bevölkerung zu identifizieren, zu vermeiden und abzumildern.»

 

Apropos abmildern: Wie viele Schlammlawinen gingen schon wieder in den letzten 100 Jahren auf Zürich nieder? Genau: 4 weniger als in der Schweiz Minarette stehen und gleich viel wie die von Eiben erschlagenen SpaziergängerInnen. Gut, dass wir was dagegen tun. Das darf man nicht kleinreden, da hat Grün Stadt Zürich schon recht. Der Partei mit einem «e» mehr ins Poesiealbum geschrieben!

 

Gelesen im ‹Zürcher Wald›: «Die Forstwirtschaft muss sich nicht verstecken, aber sie muss sich manchmal erklären.» In der Baumfrage reden wir aneinander vorbei. Darum löse ich schnell meine Ketten, klettere aus der Astgabel und erkläre folgendes: Der Stadtrat redet, wie er reden muss. Gehetzt vom Revierförster und der Holzfällerfirma, die schon die Schadenersatzklage vorbereitet haben soll, wie man liest. Eine 100-jährige Buche dagegen redet nichts, sondern erbringt ökologische Dienstleistungen im Gegenwert von 70 000 Franken. Andere sagen: Dreimal so viel. Malgenommen mit 2100 ist das: sehr viel. Und: «Etwa 2000 junge Bäume (mit einem Kronenvolumen von 1 m³) sind nötig, um einen solchen Baum vollwertig ersetzen zu können.» Sagt Grün Stadt Zürich auf ihrer Homepage. Aber das ist nicht die Pointe. Denn GSZ hat das abgeschrieben, nämlich bei der deutschen Stiftung «Die grüne Stadt». Und ganz vergessen, den letzten Satz des Originals zu zitieren: «Die Kosten dafür dürften etwa 150 000 € betragen.» Malgenommen mit 2100 ist das verflucht viel. Volksvermögen. Zum Glück wachsen die Bäume im Wald gratis. Die Gegenseite redet von Waldpflege, Schutzwald (was nicht zu verwechseln ist mit geschütztem Wald), Auslichtung und Verjüngung und verteilt dazu Helme und Schutzwesten. Und selbstverständlich sind sie auch grün. Wer nicht. Wir wollen alle dasselbe. Wozu die einen schön arbeitsteilig Fakten schaffen und die anderen dagegen protestieren. Die Bäume sind gefällt. Fertig.

Der Wolf strielt auf der Albiskette herum, so liest man. Böses Tier.

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Einfach Wohnen

Zweimal im Jahr spielen sich eigenartige Szenen im Zürcher Ratssaal ab, beim Budget und bei der Abnahme des Geschäftsberichts der städtischen Wohnbaustiftung, die 2013 unter dem programmatischen Titel «Stiftung für bezahlbare und ökologische Wohnungen» vom Volk mit überwältigender Mehrheit angenommen und daraufhin gegründet worden war. Ratsdamen und -herren von links bis rechts geraten in Wallung und versuchen, den Geschäftsbericht, der nur zur Kenntnis genommen werden kann, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was etwa ähnlich effektiv ist, wie wenn ich den Klimawandel bekämpfen wollte, indem ich den Hitzesommer nicht zur Kenntnis nehme.

 

Werfen wir einen Blick zurück auf die Geschichte dieser Stiftung. 1983 setzte die UNO eine Kommission für Umwelt und Entwicklung ein. Das Revolutionäre dieser Kommissionsarbeit war schlicht und ergreifend, diese beiden Begriffe zusammenzudenken. Sie stellte in ihrem Bericht «Our Common Future» fest, «dass kritische, globale Umweltprobleme hauptsächlich das Resultat der grossen Armut im Süden und der nicht nachhaltigen Konsum- und Produktionsmuster im Norden sind. Er verlangt somit eine Strategie, die Entwicklung und Umwelt zusammenbringt. Dies wird mit dem heute geläufigen Begriff ‹sustainable development› umschrieben», wie beim Bundesamt für Raum­entwicklung nachzulesen ist. Damit wurde der Hauptwiderspruch der globalen Politik, der Grundkonflikt zwischen Entwicklung und Umweltkonsum bzw. -belastung gültig formuliert und 1992 an der Konferenz in Rio auch weltweit anerkannt. Ausser in Nordkorea, in der NZZ und im Ratshaus.

 

Bricht man diesen Widerspruch herunter auf das Thema Wohnbau, wird das Problem sofort klar: Bausubstanz muss regelmässig erneuert werden. In der Schweiz passiert das mit einer Rate von knapp zwei Prozent pro Jahr, also langsam, aber eben oft zu schnell. Bauen wie Erneuern bringt potenzielle Nachteile: Es verändert die soziale Struktur in den betroffenen Räumen und es belastet die Umwelt. Ökonomisch gesehen ist Erneuerung allerdings langfristig vorteilhaft und materiell schlicht unumgänglich. Selbstverständlich kommt es dabei darauf an, wie man es macht – aber zentral bleibt die Erkenntnis, dass jede Erneuerung einschneidende Veränderungen bringen kann. Das sehe ich auch bei einer der Genossenschaften, in denen ich Mitglied bin. Sie gibt sich enorme Mühe, Erneuerungsprozesse sozial- und umweltverträglich ablaufen zu lassen und kann Verwerfungen dennoch nicht ganz vermeiden.

 

Die bittere Wahrheit ist, dass wir immer noch nicht wissen, wie man das optimal macht. Die Forschung hat riesige Fortschritte beim ökologisch und energetisch vorbildlichen Bauen erreicht und viele Bauträger wissen auch, wie man sozialverträglich baut. Aber es schleckt keine Geiss weg, dass jede Erneuerung… siehe oben. Und genau hier setzt die Idee zu einer neuen Stiftung an, eine Stiftung, die unter demselben Druck und denselben Bedingungen, denen auch andere Bauträger ausgesetzt sind, herausfinden soll, wie das geht – ganz einfach, weil dies im Stiftungszweck steht, und bei allen anderen nicht. Dies tut dringend Not: Wir müssen herausfinden, wie man Stadterneuerung macht, die den Ansprüchen an Umwelt- und Sozialverträglichkeit genügt und ökonomisch bewältigbar ist – unserer Stadt zuliebe, aber auch mit Blick auf die globale Entwicklung, in der ja immer mehr Menschen in Städten leben. Nun hat «Einfach Wohnen» endlich Fahrt aufgenommen und liefert erste Resultate. Ich bin froh, dass es sie gibt. Politisches Gewäffel hin oder her.

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