Artikel, p.s. Zeitung

Banalität des Irrsinns

Ich versuche ja, das zu verstehen, ehrlich, aber einfach ist das nicht. Ich versuche zu verstehen, warum langsam aber sicher alle durchdrehen, bloss weil sie eine Maske aufhaben müssen und nicht mehr ganz alles so ausleben können wie das früher eventuell einmal war. Ich gebe zu, ich hab einfach reden, für mich hat sich im Leben nicht so viel verändert, das Homeoffice behagt mir, und dass ich zum Ausgleich etwas mehr spazieren gehen muss, ist voll ok, meint ja auch der Doktor. Clubs waren eh nie mein Ding und eine Maske im Grossverteiler oder in der S-Bahn ist es wert, wenn ich dafür auch noch einer simplen Erkältung ausweichen kann. Warum und woher jetzt aber dieser Furor, der manche Menschen, sogar solche, die noch kaum je im Leben demonstriert haben, auf die Strasse treibt mit komischen Schildern in der Hand und abstrusen Ideen im Kopf?

Ich versuche weiter zu verstehen, warum der liberale Rechtsstaat zunehmend abdankt, sich selber auflöst, ohne Not, und warum er mit dem ewigen Totschlagargument von mehr Sicherheit immer mehr Freiheiten abbaut. Sogar die Zwölfjährigen wollen sie jetzt nicht mehr wie Kinder behandeln, sondern rabiat und präventiv einsperren, scheiss auf Kinderrechte! Im Namen der Sicherheit. Aber nicht in meinem Namen. Ich versuche zu verstehen, warum ganz plötzlich diese zugegebenermassen heikle und diffizile Balance zwischen persönlichen Freiheiten und kollektiver Sicherheit ausser Kontrolle geraten ist. So dass man sogar noch ein bisschen verstehen kann, dass die Leute stinkig reagieren, wenn eine Maske verordnet wird. Nur, dass das verdächtig nach Stellvertreterkrieg riecht. Die wahren Feinde der Freiheit sitzen momentan im bürgerlich dominierten National- und Ständerat, und sie sitzen in den globalen Grosskonzernen, die uns zunehmend entmündigen, aber eher nicht in der Regierung.

Ich versuche zu verstehen, warum die Welt spinnt, aber dieses Mal richtig und nicht nur versuchsweise, dieses Mal mit vollem Durchgriff auf die Macht, so dass wir uns im Jahre vier nach der Wahl des wohl durchgeknalltesten Menschen zum US-amerikanischen Präsidenten fragen, was dort, aber auch hier, eigentlich noch normal sei und was nicht, und woran wir uns ganz einfach gewöhnt haben. Ich versuche zu verstehen, warum man sich an den Klimawandel gewöhnen kann, diesen Wahnsinn, der sich zunehmend klar vor uns ausbreitet, wenn man sich nur schon – nur einer von Tausenden von Indikatoren – anschaut, wie viele Sommer schon «Jahrhundertsommer» waren, wie die Temperaturen ausser Rand und Band geraten, wie die Welt sich aufheizt und welche irrwitzigen Gefahren uns damit drohen. Und gleichzeitig müssen wir uns tatsächlich und ernsthaft sagen lassen, dass dieses CO2-Gesetz das beste sei, was wir herausholen konnten. Glaub ich sogar. Macht den Irrsinn, in dem wir drinstecken, aber erst recht sichtbar und nicht geringer.

Ich versuche zu verstehen, was es nicht zu verstehen gibt. Ich werde gebremst durch den altmodischen Glauben an Vernunft und Logik und letztlich halt doch so etwas wie gesunden Menschenverstand. An Aufklärung. An Humanität. Das alles tönt mittlerweile ein bisschen altbacken, wie aus ferner Zeit, als das Denken noch geholfen hat. Vielleicht hatte Hannah Arendt ja recht mit der Strukturlosigkeit totalitärer Regierungen, vor allem aber mit der Banalität des Bösen. Man muss es aktuell einfach umdenken auf die Banalität des Irrsinns, auf eine Normalität des Unverständlichen. Ich tu mich grad ein bisschen schwer damit.

 

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