Als ich ein kleiner Junge war, steckten sie mich für sechs Jahre in ein Umerziehungslager. Ok, sie nannten es Volksschule, aber das war reine Gesundbeterei. Denn sie zwangen mich dort zu widernatürlichen Handlungen, etwa zum Schreiben mit der rechten Hand, obschon ich geborener Linkshänder bin, und deshalb funktionierte das auch nicht die Bohne. Ich schreibe das nicht, um mit Gejammer höhere Honorare vom P.S. zu erpressen, (immerhin tippe ich heute perfekt gehirnvernetzt mit einem linken und einem rechten Finger), sondern es geht mir – kühne Überleitung! – um Identität: Denn was die Schule mit ihrer schwarzpädagogischen Aktion vor allem bewirkte war, dass ich zu einer stabilen Identität als Linkshänder fand. Ich betrachtete mich fortan als etwas Besonderes und sog gierig alle Informationen auf, gemäss denen Marie Curie, Jesus oder Dagobert Duck ebenfalls Linkshänder gewesen waren und wir, eine Minderheit von rund 10 Prozent, eindeutig zu den kreativen und, in aller Demut: genialen Mitmenschen zu zählen seien – Balsamico auf meine geschundene Seele! Woraus wir lernen, Identität ergibt sich aus Abgrenzung. (Und das mit Dagobert hab ich übrigens kreativ erfunden – meine Fresse, glaubt doch nicht alles, was in der Zeitung steht.)
Hinter der identitären Idee steckt eine jahrhundertealte Geschichte, die zwischen Gleichheit oder Universalität und Differenzierung oder Identität oszilliert. Tönt kompliziert, ist aber so einfach wie links schreiben. Es ist eine Geschichte, die mittlerweile von Links wie von Rechts reklamiert wird, denn Identität kann, plakativ gesagt, sowohl via Klasse als auch via Nation hergestellt werden, um nur die beiden aktuellsten Faktoren aufzuzählen. Universalismus wiederum weist dagegen auf die universellen Menschenrechte hin und ist damit ein Konstrukt der Aufklärung, kann aber auch als Versuch gelesen werden, Identität zu negieren und damit zerstören zu wollen.
Die Debatte über solche Fragen läuft, vorab in der Politik, momentan heiss. Ich denke, wir tun uns schwer damit, gerade wenn man an Erscheinungen wie den grossen Donald in den USA denkt (ein Rechtshänder, sorry). Denn einerseits berufen sich auch Linke und Liberale immer noch auf universelle Werte, auch und gerade dort, wo es um das Einstehen für Minderheiten geht, seien es LGBTQ-Menschen oder solche auf der Flucht. Und andererseits kann das leicht zu einem Fokus auf partikuläre Interessen ausarten, was mehrheitlich nicht verstanden wird und etwa im Vorwurf endet, «Minderheiten unterstützt ihr, aber für uns tut ihr nichts». Denn die grossen Herausforderungen, die Big Challenges sind ja zugleich universelle Gefahren, auch wenn sie nicht alle Menschen gleich stark betreffen. Man muss also aufpassen, dass «Diversity» nicht «Solidarität» verdrängt, um das mal gründlich zuzuspitzen. Und man muss aufpassen, dass identitätsbedingte Grenzen nicht als Abschottung gegen alle anderen gezogen werden, so dass in der Folge alle, die sich erlauben, sich in einem solchermassen definierten Raum einzumischen, als übergriffig erklärt werden. Das endet nicht gut, weil sich viel zu einfach ein Zustand einstellen kann, in dem sich alle Gruppen hinter ihren (meinetwegen berechtigten) Anliegen verschanzen und keiner sich um das Ganze kümmert. Auch Politik oszilliert darum zwischen dem Anspruch, Identitäten zu ermöglichen und zu schützen und dem Anspruch, für alle zu reden und einzustehen, unabhängig von ihrer Identität. Darauf gebe ich euch mein schönes Händchen.
Markus Kunz
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