Vor Kurzem hat das Tiefbauamt, nach Beendigung der Velo-WM, an der Bergstrasse klammheimlich eine Mittelinsel verschwinden lassen. Ich hatte deswegen einen etwas absurden Mailwechsel mit der Verwaltung. Sie stellte sich taub. Die Insel sei nicht nötig, und man habe ja dafür die Grünphase der Fussgängerampel neu justiert. In der Tat war die Grünphase damals noch (knapp) ausreichend. Heute ist sie komischerweise kürzer, gefolgt von enormen drei Sekunden Gelbphase. Dann ist man noch mitten auf der Strasse. Und als ich vor einigen Wochen mit den Folgen eines Hexenschusses zu kämpfen hatte, war ich noch im ersten Drittel.
Ein Detail, gewiss. Aber ein schönes Beispiel für Ageism, auf Deutsch Altersdiskriminierung. (Genau genommen geht es dabei generell um Diskriminierung aufgrund des Alters, also auch um Junge. Aus naheliegenden Gründen – ich bin alt – schreibe ich hier aber über die älteren Mitmenschen.) Wie jede Diskriminierung geht es dabei um eine soziale und ökonomische Benachteiligung von Personen oder Gruppen, hier aufgrund ihres Lebensalters. Ageism beginnt in unseren Köpfen und ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Es gilt als ‹normal›, sich alte Menschen als defizitär, also als weniger leistungs- und lernfähig, körperlich schwach, leicht vertrottelt, usw. vorzustellen. Und schlimm ist nicht, dass das alles auch hin und wieder stimmt, schlimm ist die Wertung dahinter. Denn der Benchmark ist der leistungsfähige, fitte Mitmensch, der bzw. die etwas zum Bruttosozialprodukt beiträgt – natürlich ein neoliberales Konstrukt. Natürlich ‹kosten› Junge in der Ausbildung und Pensionierte mehr als sie ‹bringen›, aufs Jahr gerechnet. Auf Jahrzehnte gerechnet, also wenn man bedenkt, dass die Alten bereits ein produktives Berufsleben hinter sich haben, stimmt das aber bereits nicht mehr – so funktioniert das mit der Diskriminierung. Auch in den Medien wird die Lebensphase Alter vor allem negativ dargestellt. Und schliesslich gibt es dramatische Ausformungen, wie etwa physische und psychische Gewalt in Pflege und Betreuung, meist verursacht durch Überforderung, oder durch die Anwendung ökonomischer Grundsätze auf das Alter. (‹Rentiert› ein neues Hüftgelenk bei einer 85-Jährigen noch?) Auch strukturell gibt es Ageism. Viele öffentliche Systeme, etwa bei Wohnen, Mobilität oder digitalen Dienstleistungen, sind nicht altersgerecht. Ältere und vor allem hochaltrige Menschen erleben hier Hürden, die ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einschränken oder verunmöglichen.
Ich bin nicht gerade zuversichtlich. Der Ageismus wird noch wachsen. Die Demografie in allen westlichen Ländern, mit ihren sinkenden Geburtenraten und der zunehmenden Zuwanderungsfeindlichkeit, spricht eine deutlich Sprache: Der Anteil an ‹unproduktiven› Menschen wird grösser, der Verteilungskampf wird härter. Vermehrt werden die verschiedenen Altersgruppen gegeneinander ausgespielt werden. Und der bereits heute vorhandene Unwille, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen, wird wohl kaum verschwinden. Denn nichts wäre eigentlich vorhersehbarer als die Bevölkerungsentwicklung, und wenn man alte Menschen nicht als Defizit, sondern als Ressource betrachtet, ist hier viel herauszuholen. Um Ageism wirksam zu begegnen, braucht es ein Umdenken, weg von falschen Vorurteilen, von defizitären Altersbildern und stereotypen Vorstellungen vom Alter, hin zu einer Kultur der Wertschätzung. Denn gell, Sie wissen schon: alt werden wir alle.
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