Artikel, p.s. Zeitung

Angewandte Wissenschaft

Neulich, im Taxi. Es war weit nach öV-Schluss, der Heimweg war lang und kalt, und mich gabelte ein Türke im Tesla auf. Offenbar muss ich etwas skeptisch auf das riesige Display auf der Mittelkonsole geguckt haben – Flatscreens im Panoramaformat lenken ja ü-ber-haupt nicht ab – und prompt witterte er Fachkompetenz im Autobereich: «Was meinst du zu Tesla?» Und ich so: «Naja, weisst du, Elektroautos haben auch so ihre Probleme…» Eifriges Nicken: «Ja, kenn ich, ich hab schon viel Probleme mit Batterie gehabt… aber guck mal…» (und er zeigte auf den Bildschirm mit gefühlten tausend Informationen drauf) «…schon über 240 000 Kilometer, ist nicht schlecht, oder?» Ich sage: «Ja, super, immerhin besser als mit einem Benziner.» «Wieso? Geht Benzin aus?» «Nein, das weniger, aber wegen den Abgasen, die heizen das Klima auf, weisst du.» Er wiegt nachdenklich das Haupt, offenbar ist ihm das Thema nicht ganz fremd. Und dann fasst er es ebenso konzis wie rabiat zusammen: «Geht Welt unter?»

 

Eine gute Frage, und ich wär auch eine gute Anlaufstelle, da als Grüner bekanntlich Experte im Weltuntergang. Aber jetzt wird’s heikel, aus drei Gründen: Erstens hatte ich es als Dozent für nachhaltige Entwicklung mit jungen Menschen zu tun, und vor diese stehst du nicht hin und erzählst ihnen im Plauderton, dass die Welt gerade am Absaufen und Verdorren zugleich ist, auch wenn es aus der Wissenschaft übergenug Argumente dafür gibt. Ich hab mir daher angewöhnt, solche Fazite, die im Hörsaal ohnehin meist nicht angebracht sind, zu umschiffen. Die Fakten sprechen ja für sich, und meine Studis waren nicht blöd und konnten selber 2+2 zusammenrechnen. Es gehört einfach sehr viel Mut dazu, sich schon im jungen Leben einzugestehen, dass die Zukunft ein einziger Problemhaufen ist. Von daher hatte ich also etwas Beisshemmungen, morgens um zwei im geheizten Tesla über den Weltuntergang zu plaudern.

 

Zweitens und nämlich verbieten sich die Antworten «Ja» und «Nein», denn die Sache ist etwas komplizierter, weil die Welt zwar teilweise, etwa an den Meeresufern, tatsächlich buchstäblich untergeht, vor allem, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel verpassen (was wir tun werden). An anderen Orten der Welt wird man aber vom Untergang sehr viel weniger merken oder sogar ein bisschen profitieren. Reichtum hilft übrigens perverserweise sehr beim Profitieren, obschon unsere Lebensweise gleichzeitig die zentrale Ursache ist. – Und drittens geht die Welt auf eine Art unter, die wir uns, allesamt hollywoodgeschädigt, völlig falsch vorstellen. Sie tut es heimlich, leise, manchmal unmerklich und langsam. Es gibt keine sonore Stimme aus dem Off, die einen Kommentar abgibt, wenn wieder eine Art ausstirbt. Und keine pompöse Filmmusik begleitet den neuesten Hurrikan, wenn er durchs Land tobt. Selbstverständlich gibt es das auch: Jede Menge lauter und tödlicher Katastrophen, nur kann man bei denen dann einwenden, sie hätten nichts mit dem Klimawandel zu tun, das habe es ja schon immer gegeben.

 

Ich hab daher gekniffen. Die Fahrt dauerte zehn, fünfzehn Minuten, aber ich bräuchte ein paar mehr, um den Weltuntergang im Allgemeinen und die Rolle des Teslafahrens darin im Besonderen erklären zu können. Als ich ausstieg, fühlte ich mich wie von einem kalbenden Eisberg gestreift. Und nein, es ist nicht so, dass alle Leute genügend über solche Zusammenhänge informiert sind, auch wenn mein Taxifahrer ganz offensichtlich so einiges wusste. Der Weltuntergang, wenn er dann da ist, wird so manche noch überraschen.

 

 

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