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Nett

Eigentlich hat Franz Hohler die Sache schon vor fast 30 Jahren abschliessend auf den Punkt gebracht: Das entsprechende Lied heisst «Es si alli so nätt», und der Name ist Programm: Form und Inhalt stimmen bei den Menschen nie überein. Oder in einfacher Sprache: Sogar das letzte A***och ist noch nett. (Na gut, Trump macht hier eine Ausnahme.) Nettigkeit liegt wie eine fette Sosse über aller Gemein- und Dummheit und scheint darüber hinaus sehr schweizerisch zu sein. Vermutlich liegt das daran, dass unser Land so klein ist: Man trifft sich immer zweimal, daher ist man schon mal präventiv nett.

 

Hohlers Lied beginnt harmlos, mit seinem Umzug in die Stadt, und ganz anders, als «die auf dem Land» immer behaupten, sind «die Städter» durchaus nätti Lüüt. Danach folgt eine Episode aus dem Widerstand gegen Gösgen, nämlich dass sie von den «Chärnchraftherre» eingeladen worden seien, und siehe da: «Denn sitze mer zäme n am Tisch / Üsi Meinig isch komplett verschide / Aber was s verrücktischten isch / Es si alli so nätt – Würklech / Es si alli so nätt – / Si doch Familieväter wie du und i / Si sogar Wildwasserfahrer und Schilangläufer / Wüsse würklech, was Natur isch.» Das Lied endet mit einem Albtraum, nämlich dass er, zum Tode verurteilt, geköpft werden soll und mit tatsächlichem Grauen feststellen muss: Auch das kann man nett erledigen. «Aber s schlimmschte, churz vor em Chöpfe / Si all die fründleche Grind / Vo Schtaatsaawalt, Richter und Hänker / S isch wyt und breit kei Find / Es si alli so nätt – / Dörfe mir Ihne die Binde um d Auge legge? / Hei Si no ne letschte Wunsch? / Ah, Si sind Nichtraucher / Denn legge Si jetz bitte Ihre Chopf uf dä Pflock do.»

 

Quintessenz: Alle, wirklich alle, sind «so unheimlich, so grauehaft NÄÄÄÄÄTTTT!» Und da ist es ein kurzer Weg zum Ueli Maurer, den nun alle noch schnell in den Himmel hinaufloben, wie wenn er schon tot wäre, trotz seinen, wie ich es mal nett formulieren will: sehr dezenten politischen Erfolgen als Kriegs- und Finanzminister, trotz seinen pubertären Frechheiten, trotz seinem ewigen Zeuseln, seiner Schnoddrigkeit und seinen Provokationen, mit denen er mithalf, den Rechtsextremismus in der Schweiz salonfähig zu machen. Nur eben: Er hat sich immer derart treudoof geäussert, dass er knapp unter dem Aufregungsradar flog. Und schon geht’s weiter: Uns droht ein Nachfolger, der noch etwas harmloser daherkommt, was bei ihm aber unter «gmögig» läuft, weil Berner. Dabei ist Albert Rösti wohl der unnetteste und verheerendste Lobbyist wider das Klima, für die fossilen Energien, ein treuer Ausführungsgehilfe und Laufbursche seiner Geldgeber, aktuell grad Auto-Schweiz, und komplett keine Empfehlung für ein Amt, das der gesamten Gesellschaft zu dienen hat und bitteschön die Verfassung respektieren sollte, wenn’s geht. Aber er ist nett, auch wenn er an den falschen Fäden hängt. Und das bedeutet in diesem Land: bundesratstauglich.

 

Gar nicht nett ist hingegen, wenn sich eine Professorin und Mitverfasserin von globalen Klimaberichten an einem Sitzstreik beteiligt, wegen dem doch tatsächlich reale AutofahrerInnen belästigt, ach was: genötigt bzw. an der Ausübung ihrer Klimavernichtungsaktivitäten behindert werden. Nicht nett ist es, wenn Grüne Volkserzieher einen Fleischtag weniger in der Mensa einführen wollen oder gleich viel Platz fürs Velo wie fürs Auto einfordern, und so weiter. Aber dass e fründleche Grind definitiv Kompetenz und Eignung abgelöst hat, das hat wohl nicht einmal der Franz geahnt.

 

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