Artikel, p.s. Zeitung

Schulmeistern

Bange machen gilt nicht. Strahm tut’s trotzdem. Die Annahme der Zersiedelungsinitiative, so führt er raumgreifend (und in der Gratiszeitung auch polemisch) aus, habe zur Folge, dass der Boden ein zunehmend knappes Gut werde, was ihn verteuern werde, was zu steigenden Mietpreisen führe. Daher sei die Initiative gefährlich.

 

Gefährlich ist allerdings höchstens, wenn alte Männer junge Leute schulmeistern wollen. Denn was der alt-Preisüberwacher und alt-Nationalrat Strahm da sagt, mag zwar irgendwo noch im Märchenschatz der Marktwirtschaftstheorie vergraben sein, wird in der Praxis aber durch andere preistreibende Aktivitäten überdeckt, wie Zinsentwicklung, Abzockerei etc., kurz, die Mieten steigen nicht nur, weil der Boden knapp wird. Wenn’s allein das wäre, müsste Strahm konsequenterweise für die Verstaatlichung des Bodens sein. Aber vor allem: Die Knappheit ist ohnehin unausweichlich. Denn Boden ist mit oder ohne Initiative ein nicht vermehrbares Gut, und wenn die zersiedelte Überbauung ungebremst weitergeht, steigen die Preise so oder so. Genau deswegen fordern wir ja seit jeher wohnbaupolitische Massnahmen. Strahm beschreibt also nur, was eh eintreten wird. Und es ist nicht hilfreich, solche unausweichlichen Prozesse als Ausrede gegen den Wandel zu benutzen, der genau solche Prozesse zumindest abschwächen will.

 

Die Jungen, nicht nur die Jungen Grünen, haben zunehmend keinen Bock mehr auf alte Männer, die ihnen verwehren, was sie selber jahrzehntelang konsumiert haben. Sie gehen auf die Strasse fürs Klima, und sie benennen schonungslos unsere Unfähigkeit, das Richtige zu tun. Sie, oder wohl eher wir selber, stellen uns bloss, weil wir als Antwort auf ihre Klimasorgen die Schulordnung schwenken und irgendwas von «demonstrieren kann man auch am Samstag» sabbern. Oder veraltete Theorien von der Knappheit der Güter von uns geben, die keine Sau interessieren.

 

Denn: Wir werden zunehmend in solche Debatten kommen, die Zersiedelung ist erst der Anfang. Wasser zum Beispiel wird knapp werden. (Und ist ja genau deswegen interessant für Privatisierungsgelüste.) Auch, weil es immer noch durch Pestizide vergiftet wird. Oder weil die Gletscher verschwinden. Ressourcen werden knapp werden oder sind es schon. Manchmal auch künstlich, manchmal sehr natürlich. Recycling, Kreislaufwirtschaft, Suffizienz interessiert keinen, wir benehmen uns, wie wenn es fünf Erden gäbe. Nahrung könnte sodann knapp werden, vorab Fleisch muss sogar knapp und viel teurer werden, denn ökologisch ist die Massentierhaltung unhaltbar. Schliesslich: Platz wird knapp, zumindest in den Städten. Der Verdrängungskampf ist auch auf einer heilen Insel wie Zürich in gnadenlosem Gang. (Die Liste liesse sich beliebig verlängern, der Platz hier im P.S. leider nicht.)

 

Strahm kommt noch aus der Verschwendergeneration. Die musste nie über Knappheit nachdenken, ja die Ökonomie, die selbsternannte Wissenschaft von der optimalen Allokation knapper Güter, versagte jämmerlich und lieferte nur das Mäntelchen für die Legitimierung der Ausbeutung von Mensch und Natur. Der Nationalökonom Strahm leistet keinen Beitrag zu einer seriösen Nachhaltigkeitsdebatte. Wenn das Argument zutreffen würde, dass der Widerstand gegen die Verschwendungsgesellschaft die Güter knapp und damit teurer werden lasse, wäre die logische Folge die Fortsetzung der Verschwendung bis zum baldigen Kollaps. Strahm weiss also keinen Ausweg. Die Zersiedelungsinitiative schon. Denn nicht-erneuerbar heisst nicht erneuerbar.

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