Heuer jährt sich der Tod des Journalisten und Historikers Niklaus Meienberg zum 30sten Mal, und haben ihn wohl die meisten bereits vergessen oder nie gekannt, auch wenn er die nachfolgenden journalistischen Generationen geprägt hat wie kein zweiter. Sympathisch war er mir nie so richtig, und ich zweifle etwas daran, ob er eigentlich ein Linker gewesen ist, die Bezeichnung «stockkatholischer Atheist» trifft es da schon eher. Aber er war ein grandioser Schreiber und Stilist, ein begnadeter Polemiker, ein ausgezeichneter Rechercheur und ein guter Historiker, wenn auch etwas unorthodox, da alles miteinander. Dass er aneckte beim Bürgertum, dem er offenbar gerne angehört hätte, dass er beispielsweise jahrelang Schreibverbot beim Tagi hatte, war eher seiner direkten Art zuzuschreiben, denn er verschonte auch nicht die Hand, die ihn fütterte, und das verzeiht die Bourgeoisie nie.
Als Linker wahrgenommen wurde er deshalb, weil er konsequent Geschichte von unten schrieb und recherchierte. So etwa das Schicksal von Ernst Schrämli, der wegen dem Klau von ein paar Handgranaten, die er an die Nazis lieferte, als Landesverräter hingerichtet wurde, derweilen der Waffenhändler Emil B., den man ohne weiteres als Sauhund bezeichnen muss, weil er den Nazis Kanonen im grossen Stil lieferte, heute noch in der Stadt Zürich verehrt und hochgeachtet wird.
Meienberg hat sich vor dreissig Jahren das Leben genommen. Depressionen waren ihm nicht unbekannt, und zwei Vorfälle mussten ihm das Leben gewaltig vergällt haben. Einerseits ein Raubüberfall auf ihn an seinem Wohnort – «Z’Örlike git’s alles», hätte er wohl dazu geschrieben, denn auch er war nicht immer geschmackssicher –, und zum zweiten war das der Irakkrieg, der ihn mit «den Linken» entzweite, wobei mir nie ganz klar wurde, welche er meinte. Persönlich begegnet sind wir uns auf einer Reportage: Als 1984 Papst Johannes Paul II. in die Schweiz kam, war ich als embedded journalist im Auftrag der damaligen Wochenzeitung ‹Die Region› drei Tage in der Innerschweiz unterwegs. Meienberg war auch da, er schrieb einen Text für die WoZ, in dem er die steile These entwickelte, dass dies unmöglich JPII gewesen sein könne, sondern ein Double – er war Anhänger der Weisheit «se non è vero, è ben’ trovato». Wir tauschten manchmal Beobachtungen aus, wenn wir wieder einmal beide unseren Augen und Ohren nicht trauten, gingen aber meist getrennter Wege. Ich verfolgte eine andere Geschichte, die der völligen Verkommerzialisierung, denn diese drei Tage lieferten die gründliche Korrektur des biblischen Grundlagenirrtums, wonach man nicht zweien Herren dienen könne, Gott und dem Mammon. Wenn’s jemand kann, dann wir. Und der Heilige Stuhl. Die Grossen der Schweizer Literaturprominenz lobten Meienbergs Reportage, meine war natürlich besser.
Eitelkeit war auch Meienberg nicht fremd, aber er hat in der Tat Massstäbe gesetzt: Stilistische Innovationen, Recherche-Standards, das Benennen von Ross und Reiterin, eine gewisse (immer fundierte) Parteilichkeit, Intelligenz, solche Dinge eben. Und wenn es nur recht und billig ist, seiner zu gedenken, dann daher, weil er nicht nur Texte hinterlassen hat, die zu lesen heute noch ein Genuss ist, sondern weil er auch ein Journalismus-Ethos gelebt hat, das man heute schmerzlich vermisst. Allerdings bin ich nicht sicher, wie er mit der Tatsache umgehen könnte, dass man heutzutage alles schreiben kann und (fast) keine Sau zuhört. Das hätte ihm vielleicht genauso die Luft genommen.
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