Artikel, p.s. Zeitung

Cool down

Tja, es juckt einen halt schon in den Fingern. Im Mindesten muss von «Horrorvision» oder von «Bibbern» die Rede sein, wenn man vom nächsten Winter spricht. Drunter tun wir’s nicht, dabei ist die Sache ganz einfach: Stellt einfach die Energieverschwendung ab und wir kommen ganz gut über die Runden. Aber das miech ja keine Schlagzeile. Moment: Irgendwie beschleicht mich ein ungutes Gefühl, dass ich dasselbe schon mal hier geschrieben habe …

 

Apropos schon mal: Im letzten Jahrtausend, oder genauer gesagt, 1990 ist ein Sachbuch von mir erschienen, eine Doku des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA, mit der Auswertung des wissenschaftlich begleiteten Betriebs von zwei Solarhäusern. Ich sag das jetzt nicht, um gross anzugeben, und Sie müssen auch nicht in die Buchhandlung rennen, das Buch ist vergriffen. Und stinklangweilig. Aber ich muss mich grad wieder mal grandios ärgern. Vor mehr als dreissig Jahren also standen bei uns nachweisbar bereits Häuser, die fast keine Fremdenergie verbrauchten, hingestellt von ganz normalen Architekten und bezahlt von ganz normalen Bauherrschaften. Nur: Wenn seither alle Häuser so gebaut worden wären, müsste die Qualitätszeitung keine derart saublöden Schlagzeilen schreiben wie letzthin, als sie gefragt hat, ob die Züge denn noch fahren würden, wenn im Winter der Strom knapp wird. Im Artikel kam dann heraus, dass er vielleicht gar nicht knapp wird, und dass sich die SBB noch keine Gedanken gemacht haben …

 

Die Panik ist mehrfach hausgemacht, und das Niveau der Panik korreliert jetzt irgendwie nicht so ganz mit dem Niveau der Massnahmenvorschläge. Heizpilze verbieten imponiert mir nicht so schampar, sagt aber viel aus über unsere Wohlstandsverwahrlosung. (Warum zum Beispiel kommt niemand auf die Idee, in der Schweiz eine Solarpanelfabrik zu bauen? Oder die Energiearmut gar nicht erst entstehen zu lassen?) Wir kennen das Rezept gegen Klimawandel, Energieknappheit und fossile Energieabhängigkeit schon seit mehr als einer Generation, haben aber die Umsetzung fahrlässig vergeigt.

 

Andererseits ist es auch nicht hilfreich, wenn man sagt, ich hab’s schon immer gewusst, auch wenn ich das beweisen kann: So etwa hab ich an dieser Stelle vor zweieinhalb Jahren doch tatsächlich behauptet, Wasser werde knapp, und vor einem guten Jahr hab ich vorgerechnet, wie gigantisch das Sparpotenzial beim Strom ist: Kolumnen recyclen ist geil. Aber es geht mir wie der Klimajugend: Die aktuelle militante Arbeitsverweigerung von Politik, Wirtschaft und KonsumentInnen, obschon es keinen einzigen Grund dagegen gibt, Verschwendung abzustellen, Fossile durch Erneuerbare zu ersetzen und sein Konsumverhalten ein winziges Bisschen zu überdenken, die ist, sorry, schon zum Haaröl seichen. Stattdessen muss man sich doofe Artikel in der Zeitung, jahrzehntealte Spartipps und behämmerte Ideen in der Politik anhören, wie etwa die, neue AKW zu bauen. Verzicht ist eine ideologische Kampfparole der Verschwender. Auch das ein Satz, der hier schon mal stand.

 

Wir müssen vom Hyperventilier-Modus herunterkommen. Der Run auf Heizöfeli ist absurd, nicht nur, weil die ja Strom brauchen. Zwischen zwei Grad weniger Raumtemperatur und eiskaltem Duschen liegen Welten, kein Grund für eine vorauseilende Hühnerhaut. Aber das Ende der Unschuld ist da, niemand kann mehr sagen, er oder sie habe es nicht gewusst. Mal gucken, wie lange es geht, bis ich diesen Text wieder recyclen muss.

 

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