Artikel, p.s. Zeitung

Schöne Künste

Am schlimmsten sind die Skandale, an die sich alle gewöhnt haben. Am Pfauen steht seit einiger Zeit ein Monsterklotz, vulgo Erweiterungsbau für das Kunsthaus. Der Bau wird hauptsächlich dadurch legitimiert, dass die Stadt eine Kunstsammlung ausstellen will, die ausschliesslich mit Blutgeld erworben werden konnte. Das findet eigentlich im Grunde genommen niemand wirklich, wirklich schlimm. Das merkt man daran, weil man sonst die Idee schon im Frühstadium begraben hätte oder weil man sonst nicht nur über 90 Quadratmeter – knapp zwei Prozent der Ausstellungsfläche, gut versteckt im 2. OG – für eine Kontextualisierung nachdenken würde. Die meisten Leute finden, das eine habe mit dem anderen eh nichts zu tun. Keine Scham. Nirgends.

 

Ich finde das nicht. Ich bin immer noch konsterniert, denn es ist nicht so, dass der Zweck die Mittel immer heiligt. Ich habe hier schon einmal von der Idee berichtet, dass man die Schande doch mindestens mit einem Denkmal vor der Eingangstür reflektieren müsste, zum Beispiel mit einer Flabkanone «Oerlikon», die als irritierende Intervention darauf aufmerksam machen würde, dass man wirklich mal schnell über all das nachdenken sollte, bevor man sich schöne Kunst reinzieht. Aber das Parlament hat eine solche Idee krachend versenkt, und auch ausserhalb scheint sie nirgends auf Anklang zu stossen.

 

Der Skandal ist allerdings perfekt und wird auch international wahrgenommen. Ich spreche dabei gar nicht von der Provenienz und der Zweifelhaftigkeit von Kunsterwerb im Dunstfeld von Nazi-Kunstraub, Fluchtgut und Antisemitismus, sondern ich spreche von der vielleicht legalen, aber hochgradig unmoralischen Tatsache, dass die Bilder des damals reichsten Mannes der Schweiz mittels Geldern aus dem Waffenhandel, aus Kinderarbeit und aus Zwangsarbeit erworben wurden. Ausschliesslich. Kein einziger Franken, an dem nicht Blut, Schweiss und Tränen kleben. Aber das ist in Zürich offenbar noch nicht mal ein Kavaliersdelikt. 

 

Dieses Museum hätte nie gebaut werden dürfen. Oder zumindest nicht für diese Kunstsammlung. Der Bau reiht sich nahtlos ein in die langjährige Unkultur der Schweiz, wenn es um die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und der Kollaboration geht. Es mag sein, dass Bührle ein ‹normaler› Profiteur und Mitläufer gewesen war. Aber schon eine solche Feststellung bestätigt ja nur, dass diese Auffassung von Normalität in keinster Weise dazu geeignet ist, eine kritische Aufarbeitung der Nazizeit in der Schweiz zu leisten. Hier spricht man ja sogar von «Industriegeschichte», wenn Waffenproduktion gemeint ist. Obwohl wir in den vergangenen Jahrzehnten einen erheblichen Aufwand getrieben haben, teilweise allerdings erst nach grossem Druck von aussen, um die Taten und Versäumnisse, die Haltung und das Mitläufertum des Landes zusammenzutragen und zu sichten, bauen wir nun mit der Spätrendite des schweinischen Handels einen Kunsttempel und verhöhnen damit einmal mehr die Opfer.

 

Dass Bührle sich und seine kulturellen Aktivitäten auch nach dem Krieg mit Kinder- und Sklavenarbeit weiterfinanzieren konnte, mit freundlicher Unterstützung der Schweizer Behörden, stinkt zum Himmel, ist aber folgerichtig. Und ja, klar, die Kunst kann nichts dafür. Aber ich mach’ jede Wette, dass das Vergessen im Fall Kunsthaus rasant um sich greifen wird, nur schon, weil niemand gezwungen ist, den Raum mit der historischen ‹Aufarbeitung› zu besuchen. Der Ablasshandel, denn ein solcher ist das Ganze, wird auch hier funktionieren.

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