Neulich im Gemeinderat: Ratsherr Albert Leiser, der Silberrücken der FDP-Fraktion und Geschäftsführer des Hauseigentümerverbands (HEV), hat einen seiner extrem seltenen Auftritte am Redepult. Und genauso leitet er seine Rede auch ein, nämlich, er spreche halt nur sehr selten im Rat, denn er habe ja auch andere Bühnen zur Verfügung.
Hmmm. Das bringt mich doch zur Frage: Wie war das nochmals mit der Macht in Zürich? Liegt sie bei Rot-Grün, das die Stadtregierung seit Jahrzehnten dominiert? (Genauer: Seit ein FDP-Stadtrat wegen einem Finanzskandal zurücktreten musste und ein zweiter FDP-Stadtrat abgewählt wurde.) Liegt sie bei den Linken, die im Stadtparlament seit gerade mal drei Jahren die Mehrheit haben? Oder doch eher beim Rotary-Club, dem HEV und dem ACS? Ich lese folgendes in der WoZ vom 29. April 2021, in einem Beitrag über den Kunsthaus-Erweiterungsprotzklotz: «Die Reichen mögen die täglichen Mühen der Stadtverwaltung an die rot-grünen Parteien abgetreten haben, die nun für die Verschönerung mit Velowegen und Parkanlagen zuständig sind. Im Vorstand des Kunsthauses bleibt die Wirtschafts- und Finanzmacht aber weiterhin federführend. Das Präsidium sei eigentlich kein begehrter Job, heisst es. Aber hergeben möchte man ihn trotzdem nicht. So gesehen passt es durchaus, dass sich das Kunsthaus seit 1987 in den Händen von Swiss-Re-Leuten befindet. Es ist für das Zürcher Bürgertum die eigentliche Rückversicherungsanstalt.»
Hmmm. Zumindest auf den Bühnen Regierung und Parlament scheint die Bourgeoisie aufgegeben zu haben. Ihr Einfluss verlagert sich in die Hinterzimmer und die Verbände. Sie regiert nicht, sie lässt regieren. In den Vorständen von HEV bis Kunstgesellschaft sind lauter Bürgerliche, manche davon auch pro forma in den Parlamenten, manche nicht, nämlich jene, die für sowas keine Zeit haben. Weil sie Geld verdienen. Oder netzwerken. Oder wirklich Einfluss nehmen.
Woran liegt das? An den fehlenden Inhalten? Am Personal? Ich lese folgendes vom FDP-Mitglied Walter Kielholz, langjähriger Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse, CEO der Swiss-Re und Mitglied in zahlreichen einflussreichen Gremien (Kunstgesellschaft!). Gefragt, was er denn vom politischen Personal in Zürich halte, meinte er im NZZ-Folio vom September 2020: «In der Stadt Zürich ist es tatsächlich himmeltraurig, was die Bürgerlichen noch zustande bringen.» Und wie wenn diese Wunde noch ein bisschen mehr Salz vertragen würde, plaudert Altbundesrat Pascal Couchepin in der NZZ vom 7.12.2020 stocknüchtern über seine FDP: «Das grösste Problem der Partei ist ihr Personal.»
Hmmm. Muss uns das bekümmern? Ich meine ja, wenn man sieht, wohin das führt. Dieses Problempersonal macht nun nämlich folgerichtig zwei- oder mehrgleisig Politik: In den Räten brüstet sich die FDP, ganz wahlkampfgebürstet, ökologisch fortschrittlich zu sein, und hinter den Kulissen schickt man den HEV ins Referendum gegen ein fortschrittliches kantonales Energiegesetz, dem man allerdings zuvor mittels ‹Kompromissen› als Gegenleistung für die Zustimmung die Zähne gezogen hat, das aber den Partikularinteressen des fossilen Problempersonals immer noch nicht genehm ist. Oder man stimmt dem CO2-Gesetz in den nationalen Räten zu und engagiert sich dann in den Automobil-, Transport- und Mineralölverbänden dagegen. Links blinken, rechts abbiegen. Wie nannte das Leiser? Andere Bühnen eben. Ob das auch als Wahlkampfstrategie hinhaut?
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