Artikel, p.s. Zeitung

Nach der Wahl

Das Volk hat immer recht. Das muss man wie ein Mantra vor sich hin brabbeln, wenn man sich nach diesen Kommunalwahlen erstaunt die Augen reibt. Denn dass der Freisinn sogar noch zulegen kann, nach diesen vier Jahren voller Nonsens, Arbeitsverweigerung, juristischen Saubannerzügen, Inkompetenz, mieser Rhetorik und augenquälenden Krawatten, das weist, wie eine gute Freundin meinte, die nicht als schlechte Verliererin dastehen möchte, aber trotzdem die Laune nicht verloren hat, klar darauf hin, dass sich auch Nicht-Leistung lohnt. Quasi Meritokratie auf freisinnig. Fakt ist: Die beiden FDP-Stadträte besetzen die beiden Schlusslichter der Skala, und die dritte Kandidatin positioniert sich, noch hinter einem jungen Neuling, weit draussen im Schilf. Peinlich. Bezeichnend ist, dass der Parteipräsident das auch noch als Erfolg verkaufen muss; man ist im stolzen Freisinn mittlerweile offensichtlich mit ganz wenig zufrieden. Dasselbe gilt ferner für die Mitte – bitteschön, für was? –, nur würde ich dort sagen, dass deren Abschneiden der Beweis dafür ist, dass es eben doch keinen Gott gibt. Oder nur einen mit sehr viel Galgenhumor.

 

Das Beste am Wahltag war, dass die linke Mehrheit weiterhin besteht. Es ist mir wurst, wie komfortabel sie ist, Mehrheit ist Mehrheit. Und da die linke Zusammenarbeit traditionell gut ist, egal, wie das in den letzten Monaten ausgesehen haben mag, ist das die Nachricht, die mir persönlich den Tag gerettet hat, selbstverständlich neben dem Abschneiden unserer Jungen Grünen und der auch bei uns beobachtbaren Tatsache, dass die Frauen auf den Listen in der Tendenz nach vorne gereicht wurden. Es ist nicht an mir als Jungrentner, den Jungen zu sagen, was sie tun müssen, aber es wäre gut, wenn sie sich im Gemeinderat querbeet vernetzen würden. Bis anhin war da nämlich kaum etwas sichtbar. Wie weit Jungsein ein Programm ist, werden wir sehen. Ich glaube daran.

 

Kaum beachtet, aber bedenklich: Die GewerkschafterInnen sterben im Rat aus. Immer weniger der Gewählten sind gewerkschaftlich organisiert, viele der jetzigen – mir fallen grad sechs Beispiele ein – werden den Rat verlassen. Damit verliert eine weitere Interessengruppe, die traditionell durchaus interparteilich formiert war, inklusive GLP, CVP und SVP, an Stärke und Bedeutung. Man kann zwar schon sagen, dass das städtische Personal einen solchen Support nicht zwingend nötig habe, aber gut ist das dennoch nicht. Und im Interesse der Gewerkschaften kann es sowieso nicht liegen.

 

Im Resultat vom Sonntag sehe ich wirklich keinerlei Signal dafür, dass wir nicht so weitermachen sollten wie bisher, wobei mir die Stilfrage schnuppe ist. Es ist weit und breit nicht auszumachen und gab auch keinen einzigen Hinweis, dass die brennenden Themen Klima, Wohnen, Mobilität, öffentlicher Raum, Begrünung, Ungleichheit oder Armut nicht mehr wichtig wären. Dass die Linke auch Erfolge hatte, gerade in der Klima- und Energiepolitik, beim so genannten Verkehrskompromiss, in der Raumplanung und nicht zuletzt bei der Bewältigung der Pandemie, ging völlig unter oder wird jetzt kleingeredet.

 

Ach ja, und ein letztes noch: Warum spricht man in der Stadt Zürich despektierlich von «Durchregieren», wenn die politische Mehrheit erfolgreich das tut, wofür sie vom Volk gewählt wurde, und wenn das die Bürgerlichen in den anderen 2147 Gemeinden, fast allen Kantonen und beim Bund machen, jault niemand auf? War ja nur eine Frage. Aber pass auf: Das Volk hat auch in Zürich immer recht.

 

Spenden

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte. Jetzt spenden!

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email