Nun ja, das Schlimmste haben Sie hinter sich. Ihr Vorschlag, den Alten das Stimmrecht zu entziehen, eine Idee, für die Ihnen Donald Trump, falls er denn könnte, sofort den Friedensnobelpreis verliehen hätte, hat einen ziemlichen Shitstorm entfacht. Ich wüsste nicht, dass je ein Artikel nahezu 700 Kommentare provoziert hat – und die wenigsten haben Ihnen zugejubelt. Sie haben noch nicht mal die Avenir Suisse oder die Junge SVP hinter sich scharen können, obwohl denen ja die demokratiepolitische Abrissbirne auch eher locker in der Hand liegt. Natürlich, Sie wurden von der Abschlussredaktion verarscht, indem die genau diejenige Aussage als Titel gesetzt hat, die Klickraten generiert, obwohl Ihre Ausführungen im Interview (und die Ihres Kollegen Adrian Vatter, den ich hier ja auch schon wegen seines seltsamen Demokratieverständnisses anpfeifen musste) etwas differenzierter waren. Aber auch Ihre weinerliche Replik und der komische Versuch vor einer Woche, Ihre Fehlleistung nochmals zu erklären, machten es nicht besser.
Aber egal. Was mich viel mehr beschäftigt ist, dass Sie als Politologin offenbar den Unterschied zwischen «prinzipiell» und «graduell» nicht begreifen. Daher nochmals: Jedes gesellschaftliche System, das etwas zu verteilen hat, egal ob Sozialhilfe, Ergänzungsleistungen oder eben das Stimmrecht, hat, sehr vereinfacht, zwei Möglichkeiten: Entweder alle bekommen etwas oder dann nur gewisse Menschen. Letztere Lösung hat zwei Probleme: Erstens gibt es immer Ungerechtigkeiten «an der Schnittstelle». Beispiel: Wer nur einen Franken mehr verdient als für den Sozialhilfebezug zugelassen ist, fällt durchs Netz, auch wenn er oder sie ja nicht besser gestellt sind. Und zweitens: Es entsteht sofort ein (politischer) Streit darüber, wo diese Schnittstellen anzusetzen sind; und in der Regel gibt es dafür weder rationale noch gar wissenschaftliche Gründe. Die einzige adäquate (und auch nicht perfekte) Lösung ist daher, Schnittstellen abzuschaffen, das heisst, allen etwas zukommen zu lassen, also statt Sozialhilfe zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen – oder beim Stimmrecht eben: Stimmrechtsalter Null (One man, one vote).
Gerade beim Stimmrecht kann nämlich niemand wissenschaftlich begründen, was das «richtige» Alter wäre. Sind es 16 Jahre wie in Brasilien? (Sind die reifer als wir?) Und warum 16 und nicht 16,274 Jahre? Sind es 18 Jahre von wegen Mündigkeit oder doch eher 10 von wegen Jugendstrafrecht? Die Debatte ist uferlos – vor allem aber sinnlos, denn sie zielt komplett am Thema vorbei. Das Stimmrecht ist nämlich ebenfalls «bedingungslos», es ist untrennbar an das Menschsein geknüpft, es ist Bestandteil der Menschenwürde. Egal wie alt dieser ist, wie reich (das Mittelalter lässt grüssen) oder wie uninformiert, kein Mensch ist illegal, und jeder Mensch hat eine Stimme. Und jetzt werden Sie lachen, aber das sagt sogar die Avenir Suisse, nämlich dass dieser Grundsatz «für eine moderne Demokratie unverzichtbar» sei. Kurz, das Stimmrecht ist prinzipiell, und all das ideologische Gedöns über die Dominanz der Gerontokratie ist eine Nebelpetarde. (Wir warten übrigens gespannt auf Ihre wissenschaftliche Erläuterung, warum man den Bürgerlichen das Stimmrecht wegnehmen müsse, weil sie seit 1848 die Abstimmungen und Wahlen dominieren.) Und ein Letztes: Dass unser Abstimmungssystem punkto Gerechtigkeit noch Luft nach oben hat, gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, neben dem offenen Benzinfass zu rauchen.
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