Artikel, p.s. Zeitung

Unangenehme Wahrheiten

Soo unverständlich ist es nicht, dass die Grünen in den jüngsten Umfragen schwächeln. Die Frage ist ja auch, ob in den Medien überhaupt ernsthaft kommentiert oder bereits schon Wahlkampf gemacht wird für den Herbst. Wenn etwa die Qualitätszeitung – Gell, Sie wissen schon, dass ich den Begriff seit Jahren ironisch verwende? Das P.S. kann eben keine Zwinkersmileys – es schafft, nach den Zürcher Kantonalwahlen in einer Grafik zu zeigen, dass in den letzten Jahren nur zwei Parteien happig zugelegt haben – einmal raten, welche –, nur um dann auf zwei Textseiten das Gegenteil zu behaupten, dann ist das Kampagnenjournalismus, nichts anderes.

Dennoch: Aktuell verliert Grün. Nur können die Grünen gar nicht beliebt sein, denn sie zerstören Illusionen. Etwa die von der Unendlichkeit der Ressourcen. Oder die vom technischen Fortschritt. Oder die vom andauernden Wachstum. Sie kennen vermutlich das Bonmot, dass alle den Verrat lieben, aber niemand den Verräter. So lieben im Moment alle, sogar Ölbert, das Klima, aber niemand liebt es, wenn die Grünen behaupten, dass wir unser Verhalten ändern müssen, um es zu retten. Alle lieben mittlerweile die Energieautarkie, aber niemand liebt den Überbringer der weniger kuscheligen Nachricht, dass man dazu zuerst den eigenen Energiekonsum überdenken müsste. WählerInnen wählen immer diejenige Parteien, welchen sie eine Lösung der gerade anstehenden Probleme am ehesten zutrauen – und die Grünen haben nun wirklich keine Lösung für die anstehenden Probleme, zumindest keine angenehmen, weil diese Partei immer noch an der «inconvenient truth» (Gore) festhält, statt das Volk, «den grossen Lümmel» (Heine), mit beruhigenden Parolen in den Schlaf zu wiegen. (Stauseen im Naturschutzgebiet lösen das Energieproblem! Den Kopf in den Sand stecken bringt uns weiter bei der EU! Usw.) Ein Beispiel: Alle wissen mittlerweile, dass unsere Wirtschaft so abhängig vom Wachstum ist wie der Junkie vom Gift. Was empfehlen die Grünen? Kalten Entzug. Was empfiehlt die GLP? Umsteigen auf Methadon. Was empfiehlt die FDP? Nichts tun, der Markt regelt das. Glaubs wohl, dass niemand Grün geil findet.

Man könnte meinen, Wahlumfragen seien Beliebtheitstests – was sie teilweise ja auch sind. Das erklärt, weshalb in Zeiten, in denen es vielen gut geht und keine akuten Bedrohungen herrschen, auch Parteien gewählt werden, die unangenehme Lösungsansätze vertreten, so wie 2019. Unsere kollektive Schlamperei bei der Energiewende oder beim Artensterben, bei der internationalen Sicherheit oder der europäischen Zusammenarbeit, verstärkt durch die Erfahrung der Pandemie, hat uns nun aber derart in die Ecke getrieben, dass wir lieber dem Eiapopeia (Heine) derjenigen Parteien glauben wollen, die uns versichern, es sei alles gar nicht so schlimm, man müsse nur ein kleines bisschen weniger Technologieverbot und eine Prise mehr Eigenverantwortung nehmen (und natürlich vor allem die Zuwanderung abklemmen!), und alles renke sich ein. Das Wahlvolk «favorisiert die Ideologen mit den einfachen Rezepten», wie Daniel Binswanger kommentierte. Ungern hört man Nachrichten wie diejenige von der Energieverschwendung, von den Milliarden, mit denen wir Putins Schlächterei finanzieren, oder von der zunehmenden Ungleichheit, die unsere Gesellschaft zerstört. Je schlimmer das alles wird, desto krasser werden Lösungen für diese Probleme sein, desto weniger wählen wir Parteien, welche solche Lösungen thematisieren. Das ist verständlich. Aber fatal.

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