Impfen, so sagte der Heilige Vater Ende letzten Jahres, sei ein Akt der Liebe, und da gegen den Liebesakt an sich eigentlich nichts einzuwenden ist, beginne auch ich das neue Jahr frisch gepikst und damit dreifach geliebt. Ein frohes Neues auch Ihnen, und mögen die Wellen immer flacher und seltener werden!
Leider ist damit mein Humor für dieses Jahr aber auch schon aufgebraucht. Die Stimmen häufen sich, die sich sorgen. Ich gehöre dazu. Sorgen um das Verschwinden des gesellschaftlichen Zusammenhalts, um den Kitt, um die Gemeinschaft (falls sie denn je da war und wir nicht einfach alle einer verquasten Sozialromantik aufsitzen). Wo sind sie, die nachbarschaftlichen Hilfsaktionen für Ältere oder Kranke aus der ersten Welle? Dieser Groove von «Wir schaffen das»! Die damit verbundene Kreativität etwa, wenn die Quartierrestaurants günstige Mittagsmenüs anboten und wir im Homeoffice dankbare AbnehmerInnen waren, weil wir nicht ständig die Küche anschlurzen wollten. Oder die Quartierbuchhandlung, die flugs einen Velokurierservice installierte. Oder der Biobauer vom Markt, der Home-Delivery einführte und mit seiner Online-Bestellfunktion zackig im digitalen Jahrhundert ankam, (was er vermutlich früher oder später eh hätte machen müssen). Auch wenn das gewisse berufliche Hierarchien noch weiter zementierte – immerhin konnte man der misslichen Lage noch knapp etwas Gutes abgewinnen und das halbvolle Glas sehen. Heute dagegen: Spaltung, ja Hass, blankes Unverständnis, Antiwissenschaftlichkeit, Antivernunft, Verschwörungstheorien, rechte Anarchie und das ungute Gefühl, dass hier ein paar Chaoten plötzlich wesentlich erfolgreicher sind, aus dem Staat Gurkensalat zu machen als wir es je waren. Und dass das in einer Teilöffentlichkeit durchaus salonfähig ist. Nicht bei allen, aber bei wenigen, lauten.
Leider steckt das an. Ideen, wie etwa die, allen einen Intensiv-Pflegeplatz zu verweigern, die sich nicht impfen liessen, oder die Krankenkassenprämien bei Renitenz zu erhöhen – solche Ideen sind brandgefährlich. Als nächstes haben wir dann die Entsolidarisierung bei den Krankenkassen für alle. Und dann die bei den Versicherungen. Und dann die bei der Altersvorsorge (das wird ja von manchen Jungparteien eh schon propagiert). Und dann was? Gerade jetzt gilt es, nicht die Contenance zu verlieren. Wenn wir Rachegelüste umsetzen, seien sie noch so nachvollziehbar, dann haben wir verloren. Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist wie Vertrauensbildung: Jahre des Aufbaus können in kurzer Zeit zunichte gemacht werden. Klar darf man sich fragen, ob wir nicht bereits eh schon so weit sind, denn der Mangel an Solidarität ist, siehe oben, in verschiedenen Bereichen seit längerem spürbar. Nicht zuletzt gerade mal wieder beim neuesten Trauerspiel, das sich auch noch ernstlich «AHV-Revision» nennt. Aber das heisst noch lange nicht, dass man fröhlich an der Schraube weiterdrehen sollte.
Es mag ein drastischer Vergleich sein, aber es ist ja auch nur ein Vergleich: Schaut man in Länder, die einen Bürgerkrieg zu verdauen haben, dann sieht man unschwer, wie solche Gräben über Jahrzehnte nicht mehr richtig zuwachsen, wie ein Gleichgewicht und so etwas wie eine intakte Gesellschaft brüchig sind. Die Pandemie hat das Zeug dazu, uns in eine solche Lage zu bringen, wenn wir den Emotionen nachgeben. Das Virus ist schon beschissen genug, wir brauchen nicht auch noch eine implodierende Gesellschaft. Darum: love and peace, und Liebesakte für alle.
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