Artikel, p.s. Zeitung

Gut erzogen

Als ich vor langer Zeit in die Politik ging, hab ich mir eigentlich geschworen, nicht auf jeden sauren Görps zu reagieren, denn davon wird man stigelisinnig. Als einmal ein Bürgerlicher etwas angesäuert meinte, wir Grünen täten ja gar nicht politisieren, sondern wir wollten einfach nur die Welt erziehen, hatte ich daher nur gedacht, was ist denn dem übers Leberli gelaufen und machte mir keinen Kopf. Hätt’ ich aber wohl lieber sollen, denn heute liest man solcherlei Quark bereits als unhinterfragten Fakt in den Qualitätsmedien – gell, Sie wissen schon, dass ich diesen Begriff seit Jahren ironisch verwende? Das P.S. kann eben keine Zwinker-Smileys – und die Linken, vorab die Grünen, gelten mittlerweile als wahre Moralmonster.

Das ist blühender Blödsinn, aus drei Gründen. Erstens, weil’s eine Killerphrase ist, man kann jeder politischen Forderung einen Erziehungsversuch unterstellen, ein Gegenbeweis ist unmöglich. Denn zweitens stimmt es selbstverständlich, und drittens tun das alle. Der Vorwurf, dass man in der Politik die Leute erziehen wolle, kann gar keiner sein, weil Politik unter anderem darin besteht, gesellschaftliche Strukturen, und damit die Menschen zu beeinflussen, sprich zu verändern. Und das dürfen Sie «erziehen» nennen oder sonst wie, ist mir wurscht, jedenfalls ist der Vorwurf etwa so sinnvoll, wie wenn ich der Bäckerin vorwerfen würde zu backen. Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen ist die einzige raison d’être aller politischen Parteien. Wer keinen Einfluss hat, stinkt ab. So einfach ist das, und die Weinerlichkeit, mit der auf banale Forderungen reagiert wird, wie etwa die, dass auch Filmfestivals oder Seenachtsfeste vielleicht bitte schön mal etwas gegen den Klimawandel beitragen könnten, ist nur peinlich. Klimaschutz steht nun mal in unserer Verfassung, und die gilt für alle. (Was jetzt im Umkehrschluss natürlich nicht heisst, dass alle grünen Ideen Ausgeburten purer Vernunft sind…)

Ich möchte allerdings nicht falsch verstanden werden: Ich hab, empathisch, wie wir Erzieher nun mal sind, alles Verständnis für den Vorwurf, denn er ist zwar Quatsch, aber immerhin nachvollziehbarer Quatsch. Er erinnert mich an meinen Sohn, als er etwa drei Jahre alt war, wenn er sich vor mich hinstellte und ganz vorwurfsvoll sagte: «Immer willst du befehlen!» Damit hatte er mich ertappt. Kindererziehung ist hin und wieder voll die Repression, etwa beim Thema «Dürfen Kinder sich ausschliesslich von Glace ernähren?» Oder: «Darf ich überprüfen, ob man Autopneus, auch seehr viele Autopneus, mit Hilfe eines Zweigleins lüfteln kann?» Auf ähnlichem Niveau sind manchmal die Reaktionen bürgerlicher Politiker:innen, wenn man sie sanft, aber gemein darauf aufmerksam macht, dass gewisse Verhaltensweisen halt heutzutage gesetzeswidrig sind. Und das dürfen Sie erziehen nennen oder sonst wie, ist mir wurscht, aber das sagte ich glaubs bereits schon.

Erwähnenswert ist die ganze Aufregung nur, weil solche Märchen, lange genug wiederholt, leider wirklich wirken, denn auch dieser Wahnsinn hat Methode. Man kann damit zum Beispiel politisch korrekt für Netto-Null sein, aber bei jeder Massnahme, die dann öffentlich vorgeschlagen und diskutiert wird, lauthals «Erziehung» schreien. Dass wir unser Verhalten in den kommenden Jahren gewaltig ändern müssen, ist aber, Gejammer hin oder her, allen bewusst. – So, und jetzt hopp, mixen Sie sich eigenverantwortlich einen veganen Smoothie und lesen Sie das P.S.! Beides ist gesund.

Der Beitrag Gut erzogen erschien zuerst auf P.S..

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