Artikel, p.s. Zeitung

Ecrasez l’ infame!

Als junger Journalist berichtete ich mal über einen Gewerkschaftskongress zum Thema Datenmissbrauch in den Betrieben. Es standen einem schon vor Jahrzehnten die Haare zu Berge ob all den Geschichten, die da herumgeboten wurden. Denn schon damals produzierte die zunehmend automatisierte Maschinenwelt eine Menge an Daten, die von den Unternehmen erfasst und ausgewertet wurden, wobei der Umstand, dass man damals noch viel weniger als heute vom Datenschutz hielt, schon wilde Verknüpfungen ermöglichte, meist natürlich nicht zum Vorteil des Personals. Etwa, wenn Pausen eingegeben wurden, denn ein Maschinist muss an der Maschine begründen, warum sie nicht läuft, oder wenn das Bier vom Zmittag, in der Firmenmensa mit dem Firmenbadge bezahlt, beim Vorgesetzten zur Kenntnis genommen wird, weil dieser Zugriff auf solche Daten hat, und so weiter. Sie werden jetzt sagen, ach Quatsch, alles Räuberpistolen, der Typ glaubt aber auch alles.

Daran musste ich denken ob der kleinen Szene an der Kasse des Grossverteilers kurz vor Ostern. Ich stand in der Schlange, vor mir eine Angestellte aus derselben Filiale, die noch schnell einen Zvieri kaufen wollte. Die Kollegin hinter der Kasse fragt, hast du keine Dingsbums-Card? Und die andere: Doch, aber die geb ich nie, wenn ich hier einkaufe. Ich habe zu viele wilde Storys gehört.

Und jetzt Sie so: Halleluja, Hundert Jahre wilde Geschichten. Aber im Zeitalter von Google, Facebook und Cambridge Analytica sind wir uns wohl einig: Unsere Fantasie reicht gar nicht, um wildere Geschichten zu erfinden als die Realität sie bietet. Sogar in konservativen Postillen grassiert die Idee, dass man solche Datengiganten zerschlagen sollte. Der Gesetzgeber hinkt, wie so oft, hinterher, und in der verlorenen Zeit werden Fakten geschaffen, die wir lieber gar nicht kennen wollen. Aber kennen sollten.

 

Ich misstraue etwas der Haltung, dass die Leute selber schuld seien, weil sie ja freigebig alles über sich preisgeben. Das stimmt zwar, aber es ist unrealistisch, so etwas zu sagen. Ich selber mache seit jeher gerne den Zuckerberg und werfe einen möglichst kleinen Datenschatten, ohne Smartphone (danke der Nachfrage, ja, ich bekomme genug Prügel), ohne Kreditkarte, ohne Social-Media-Präsenz, aber ich mach mir dennoch keine Illusionen. Und wer etwas jünger ist, dürfte es sehr schwer haben, ein normales Sozialleben zu führen, ohne einen fetten Datenschatten zu werfen, der ja meist noch breiter ist als die eigene Existenz. Denn wenn die Entscheidung lautet: Entweder stimmst du unseren entwürdigenden AGB zu oder dann sei ein Aussenseiter, ist die Freiwilligkeit nicht gerade gross. Wer so etwas mit der typisch scheissliberalen Schlampigkeit der Argumentation behauptet, will bloss die Machtfrage und das immense Machtgefälle zwischen Anbietern und KonsumentInnen verschleiern.

 

Folgen wir darum Voltaires aufklärerischem Kampfruf (auch wenn er damals die Kirche gemeint hat): Zermalmt sie! Zerschlagen wir die quasi absolutistischen Datenkraken, so wie wir das schon hätten mit den Grossbanken tun sollen. Zudem: Das ganze Schlamassel ist ja nur möglich, weil Daten heute eine Ware sind, also einen Wert und einen Preis haben sollten. Geben wir den Daten also einen solchen Preis, indem die Verfügungsgewalt wieder den eigentlichen InhaberInnen, also uns, zugewiesen wird. Und dann sollten wir sie natürlich nicht mehr verschenken, sondern teuer verkaufen, wenn schon. Gratis ist ja nicht mal der Tod, warum also sollen es denn unsere Lebensdaten sein?

 

Markus Kunz

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