Für einmal gebe ich der SVP recht: Masslosigkeit schadet. Bloss war das ihr Slogan, als es um Zuwanderung ging, und daher reden wir also doch nicht vom Gleichen. Manchmal kann man der Geschichte zusehen, wie sie passiert. Die Debatte um eine 10-Millionen-Schweiz verläuft genau in der Richtung, die absehbar war und die nach wie vor falsch ist. Und eine falsche Analyse führt eben zu falschen Therapien. Gerade letzthin schmetterte unser geliebtes Parlament schnöde eine Initiative ab, welche die Nahrungsmittelversorgung von weit mehr als 10 Millionen Einwohnenden sichergestellt hätte – halt mit weniger Fleisch und mehr Gemüse, aber wo kämen wir da hin! Lieber finden wir heraus, dass die Zuwandernden am Platzmangel auf unseren Feldern schuld sind. Denn die Schuldfrage ist wichtig.
Man kann einen Kuchen immer auf zwei Arten aufteilen. Entweder versucht man ihn, vor der Verteilung zu vergrössern. (Eine Umstellung unserer Nahrungsmittelproduktion auf mehr pflanzliche Nahrung hätte genau das gebracht. Wie auch die Vermeidung von Foodwaste von über 300 Kilo pro Kopf!) Oder dann nimmt man den Kuchen, der da ist – und teilt ihn gerecht auf. Was dann im dümmeren Fall dazu führt, dass man etwas mehr Mass halten muss. Selbstverständlich, und das scheint sich wie gesagt durchzusetzen, kann man auch möglichst viele Mitesser:innen vom Tisch fernzuhalten versuchen, was das Problem zwar nicht löst, aber zumindest kurzfristig so aussieht. Meine Argumentationslinie dagegen, im Wesentlichen die einer nachhaltigen Entwicklung, ist nicht neu, aber sie weist gegenüber der Schuldzuweisung an die Zuwanderung zwei erhebliche Nachteile auf: Erstens verzichtet sie auf Vergeltung an den Zuwanderern, und zweitens thematisiert sie unser Verhalten.
Es war lustig zu sehen, wie es die Bürgerlichen im Parlament getschuderet hat beim Gedanken an ein Filet weniger pro Woche. Weniger lustig allerdings dann die Aussagen, es stehe der Politik nicht zu, uns unser Verhalten vorzuschreiben. Wie wenn unser geliebtes Parlament nicht den ganzen Tag genau das machen würde. (Nachtzügen die Subvention zu verweigern, während man Kerosin massiv fördert, ist genau das.) So bleibt also die Argumentationslinie mit den Sündenböcken, die sich durchaus auch bei linken Menschen durchsetzt. Wer hat nicht schon im Feierabendverkehr in der S-Bahn leise gedacht, es habe einfach zu viele Leute hier. Naheliegend. Aber nicht zielführend, denn logischerweise hat unser Lebensstil nicht zuletzt Zuwanderungsfolgen, die Geburtenrate allein wird’s ja wohl nicht richten. Und statt rational darüber zu reden, wie wir diese Menschen, (wenn’s nach mir ginge, gerne auch Asylsuchende), besser, schneller, humaner und effektiver integrieren könnten, so dass sie ein gesellschaftlicher Gewinn sind und als Sündenböcke nicht mehr taugen, meckern wir lieber herum am Platzmangel in der S-Bahn. Und statt den Boden endlich zu verstaatlichen (= grösserer Kuchen, aber hallo!) und damit die Mieten im Griff zu halten, jammern wir lieber über die fremdländische Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt. Denn masslos sind immer die anderen. Not täte eine unaufgeregte Debatte darüber, welchen Lebensstandard wir wirklich brauchen, wie wir die Verschwendung abstellen und damit Ressourcen freischaufeln, und was das für die demografische Entwicklung bedeutet. Und wenn wir das wissen, dann können wir die vorigen Gemüsefelder immer noch in Schlachtviehweiden umwandeln. – In diesem Sinne: Masslos schöne Festtage!
Der Beitrag Masslosigkeit schadet erschien zuerst auf P.S..
Powered by WPeMatico