Artikel, p.s. Zeitung

Markige Sprüche

Drei Wochen sind nun seit der totalen Zerstörung eines ganzen Dorfes vergangen. Passiert ist: nichts. Man rühmt sich einer schnellen Evakuation – und macht markige Sprüche in Bern. Von Hintersinnen keine Spur. Und das, obwohl klar ist, dass der Klimawandel hier mitspielte, der den Permafrost auftaut, dass das also ein Untergang mit Ansage war. In den Schweizer Alpen ist die Hochgebirgs-Infrastruktur (Hütten, Lawinenschutzbauten oder Seilbahnen) oft auf Permafrost gebaut. Abstürze solcher Bauten und weitere Murgänge wie im Lötschental werden kommen. 

Den dümmsten Spruch zum Thema lieferte Albert Rösti, als er sagte, die Natur sei halt immer stärker. Was er leider zu sagen vergass: Dass wir sie oft vorher schwächen, wonach sie dann doppelt gemein zuschlägt. Zum ideologischen Hintergrund dieser Sottise hat der deutsche Historiker Philipp Blom ein erhellendes Buch geschrieben («Die Unterwerfung: Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur»). Er zeichnet dort den Siegeszug und die verheerende Geschichte des biblischen Gebots «Macht euch die Erde untertan» nach, notabene eine Spezialität der abendländischen Kultur. Seit dem biblischen Sündenfall, der die Menschen, so die immer noch treffendste mythologische Darstellung des Vorgangs, aus der Natur katapultierte, machen wir die Natur zum Objekt – und setzen sie uns damit entgegen. Meist als Feind, immer als Ausbeutungsquelle, und es kommt nicht so darauf an, ob man den Vorgang dahinter nun als Entfremdung, als Kolonialismus, als Verobjektivierung, als Abspaltung, als Projektion oder sonst wie bezeichnet, das Ergebnis ist immer dasselbe: Die Natur ist nicht so, wie wir sie wollen und manchmal ist sie dann «stärker», nämlich dann, wenn sie uns «schadet». Wir versuchen dann, sie zu «korrigieren» und richten damit in der Regel noch mehr Verheerung an. Der Irrtum ist also uralt, er ist grotesk und nicht auszurotten. Die Natur kann gar nicht «stärker» sein, weil das keine Kategorie ist, die sie «interessiert». Ihr ist Blatten egal. (So wie dem Wolf die Schafe egal sind, aber das hatten wir schon mal. Leider helfen gegen Murgänge auch keine Abschüsse.)

Daher verharren wir auch nach Blatten in Untätigkeit. Keine Sondersession in Bern, kein Klimanotstand, wie er nun mehr als angemessen wäre, nur Geschnorr und die üblichen Süppchen, die auf dem Buckel eines ganzen Dorfes gekocht werden. Etwa vom Walliser Ständerat Rieder, der nur wenige Meter vom Schuttkegel weg wohnt und jetzt eiligst ganz viele Bundessubventionen will für den Wiederaufbau. Nur, wie die WOZ schon vor Jahren geschrieben hat, ist Rieder kein Opfer, sondern Täter: «Gemeinsam mit FDP-Ständerat Ruedi Noser versuchte der Mitte-Politiker […], die vermeintlich drohende Strommangellage für einen umweltpolitischen Kahlschlag zu nutzen.» Auch sein vermeintlicher Einsatz für den Solarexpress war mehr als nur zweideutig, denn, so die Grüne Brigitte Wolf: «Seit es uns gibt, haben wir uns auch im Wallis für eine Solaroffensive auf Dächern und bebauten Flächen eingesetzt. Die Bürgerlichen haben aber stets gebremst.» Courant normal also. Subventionen abholen, aber jaa nichts an den Ursachen ändern.

Nun, Blatten ist nicht mehr, und wird nie wieder sein, machen wir uns nichts vor. Dass ich jemals einen solchen Satz schreiben würde, habe ich vor drei Wochen noch nicht einmal geahnt. Was braucht es eigentlich sonst noch, bevor die offizielle Schweiz in die Gänge kommt?

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