Mein Freund Z. meint, dass das mit dem Vertrauen noch dieses Jahr endgültig den Bach ab gehen werde, und er wird’s wohl wissen, denn er ist sowohl theoretisch wie praktisch in der Lage, selber ein bisschen dafür zu sorgen. Die Rede ist nicht von den Banken, die haben das bereits verkackt, sondern die Rede ist von künstlicher Intelligenz. KI, vor allem dort, wo sie nunmehr in der Lage ist, perfekte Fakebilder und -videos in Massen zu produzieren und damit den Markt zu fluten, dürfte also noch heuer parat sein, um unser Verständnis von Wahrheit, das ohnehin schon von Trump und Keller-Sutter erschüttert wurde, nochmals zu pulverisieren. Fragt sich bloss, wie man das werten will.
Ich bin kein Experte, aber Gedanken macht man sich ja immer. Als erstes fällt mir ein, dass wir schon seit Jahren immer wieder hören und lesen müssen, dass publizierte Bilder und Videos von den Redaktionen nicht verifiziert hätten werden können, weshalb sie mit Vorsicht zu geniessen seien. Das ist ein Witz. Denn wenn du nicht weisst, ob das, was du publizierst, falsch ist, dann lass es doch einfach sein. Gerade eben haben wir alle ein Bild sehen können von einem Feuerball über dem Kreml. Die zugehörige Story eines (ukrainischen?) Drohnenangriffs war eine Nullnummer, man hätte das gar nicht senden müssen. Es gibt keinen Informationsauftrag für Desinformation. Von daher gesehen, wenn demnächst sämtliche Bilder erst mal unter Generalverdacht stehen, könnte man sich ja auch vorstellen, dass die Nachrichtenredaktionen dieser Welt etwas vorsichtiger sind und nicht grad alles raushauen, bloss weil’s Klicks hagelt. Wenn zum Beispiel im Gefolge der Grossen Vertrauenskrise nur noch «wahr» ist, was als «wahr» bestätigt werden konnte, durch welche Massnahmen auch immer, wenn also quasi eine Beweislastumkehr stattfindet, wäre das nicht nur schlecht.
Ich hab eh ein Déjà-vu: Jahrzehntelang hab ich meinen Studis gepredigt, nicht alles zu glauben, was gedruckt steht. Das Stichwort heisst Quellenkritik, und die ist mühsam und oft anspruchsvoll, aber ohne ist nichts zu machen, ziemlich egal, ob man das ‹20 Minuten› oder einen wissenschaftlichen Text liest. In einer Welt, in der vermutlich so gegen 95 Prozent der Menschen ernsthaft glauben, dass die obersten 10 Treffer bei ihrer Suchmaschine die «wahrsten» oder «richtigsten», oder doch zumindest die «relevantesten» seien, sind gefakte Bilder nur noch ein Klacks obendrauf. Solange Sie nicht wissen, wie die Liste zustande kam, wissen Sie gar nichts. – Zudem reagieren wir, wenn wir nun die Grosse Vertrauenskrise ausrufen, wie immer: falsch. Denn Entwicklungen, vorab wenn sie technologisch getrieben sind, verlaufen nie linear, sondern wir reagieren auf sie, und damit beeinflussen wir sie, so wie wir von ihnen beeinflusst werden. Neue Instanzen der «Wahrheit» werden entstehen, und auch das ist keine gänzlich neue Sache, siehe zum Beispiel die Beglaubigung einer Unterschrift. Egal ob Notariate, Zensur oder Priester: «Wahrheitsinstanzen» gab es schon immer.
Falls es denn tatsächlich soweit kommt, dass wir im Hinblick auf die nationalen Wahlen von Bullshit nur so geflutet werden, sehe ich das also nicht gar so schwarz. Wenn alle Opfer von KI-Fake werden können, dann genauso gut auch niemand. Das hat so einen demokratischen Touch. Und ein weiterer Vorteil ist, dass wir alle etwas skeptischer gegenüber «Wahrheiten» werden müssen. Aber gut, vielleicht ist das ja auch nur pfeifen im Dunkeln.
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